KULTUR
Innovative Formen medialer Kulturvermittlung
BEWEGT
„Wie schafft es ein Museum in die Zukunft?“1 fragt sich die Projektkoordinatorin Vera Jovic-Burger auf dem Blog der Projektseite museum4punkt0. Einerseits bezieht sie ihre Frage auf Herausforderungen, vor die Museen in den letzten eineinhalb Jahren durch die Pandemie gestellt werden. Andererseits spricht sie damit auch den technologischen Fortschritt an, der Kulturinstitutionen zum Mithalten, Ausprobieren und Umdenken anhält.
Ob Künstliche Intelligenz, Robotik oder Virtual Reality (VR)2 – die Forschung der vergangenen Jahrzehnte bringt permanent neue technische Medien hervor. Diese können als Instrumente dienen, um neue Perspektiven auf die Gesellschaft zu eröffnen. Zugleich kann die Realität mithilfe dieser Medien auf neue und spezielle Art und Weise erfahrbar gemacht werden. Sehr beliebt sind diese technischen Formate gegenwärtig auch im Museumsbereich. So wird vielerorts experimentiert: Kulturexponate werden mithilfe von VR-Brillen ergänzt oder Roboter-Guides für geführte Rundgänge eingesetzt. Doch nicht alle Museen können sich diese oftmals teuren Technikgeräte leisten. Und ist es überhaupt sinnvoll, auf jeden vermeintlichen Technik-Hype3 aufzuspringen?
„In VR we trust“ – Reflektierter Einsatz von Medien
Genau diese Frage stellte auch die Ausstellung „In VR we trust“ Anfang des Jahres 2021 in Hinblick auf das Medium Virtual Reality. Sie suchte die Gründe für den Einsatz von VR-Formaten und reflektierte über Technik-Hypes und den Drang zur schnellen Adaption.
Die Ausstellung „In VR we trust“ entstand auf der partizipativen Online-Plattform nextmuseum.io, die einen demokratischen und diversen Austausch über Museen, Museumsarbeit und das Kuratieren gestalten will. Über die Website oder den Telegram-Account soll kulturelle Teilhabe niederschwellig ermöglicht werden. Die Kuratoren von „In VR we trust“, Daniel Hengst und Clemens Schöll, nutzten mit ihrer Ausstellung einen künstlerischen Ansatz und wählten die Plattform nextmuseum.io, um einen kritischen Diskurs über auf den Einsatz von VR-Formaten anzustoßen.4 Die Ausstellung ist wie eine Reise durch eine Gedankenwelt aufgebaut und stößt eine Auseinandersetzung mit der Symbiose von Virtual Reality und Kunst an. Die Besucher:innen werden von Beginn an mit Fragen rund um ihre Erfahrungen, Erwartungen und Emotionen in Bezug auf VR-Formate konfrontiert. Eingebaut in die Gedankenreise sind vier VR-Kunstwerke verschiedener Künstler:innen. Diese ermöglichen in Kombination mit den aufgeworfenen Fragen eine unmittelbare Verarbeitung des VR-Erlebnisses. Das Zusammenspiel von Reflexion und Erleben lässt Besucher:innen ihre eigenen Wahrnehmungen reflektieren, fördert einen multiperspektivischen Blickwinkel und stößt eine kritische Betrachtung von VR an. Das Besondere dieser Ausstellung ist, dass sie ein technisches Medium parallel durch dessen Einsatz und eine unmittelbare Reflektion des Erlebten hinterfragt.
Hengst und Schöll werfen auch die Frage auf, ob sich mit zunehmender Technisierung in der Kulturbranche die These des Kommunikationswissenschaftlers McLuhan, „the medium is the message“5, vollumfänglich realisiert hat.6 Sie laden dazu ein, über Medien- und Technikeinsatz in Museen und Kultureinrichtungen im Allgemeinen nachzudenken und zu beobachten, ob und inwiefern unterschiedliche Medienformate Inhalte verändern.
Perspektivenvielfalt und Know How
„In VR we trust“ kann Museen dazu verhelfen, ihren Blick zu öffnen und ihren Gebrauch von Technik in verschiedensten Arten und Weisen kritisch zu hinterfragen. Dabei drängen sich einige Fragen in den Vordergrund: Welchen Mehrwert besitzt ein bestimmtes Medienformat für meinen Ausstellungsinhalt? Passt dieses Format zu meinem Exponat? Steht am Ende die Technik im Fokus oder der Inhalt? Bringt das Medienformat einen Mehrwert für meine Inhalte? Und welche Erwartungshaltungen gehen vonseiten des Publikums an diese Anwendungen aus?
Nun unterliegen Museen – sowie alle anderen Gesellschaftsbereiche auch – dem Drang nach Aktualität. Sie müssen und wollen mithalten. Dabei kann ein Leistungsdruck entstehen, der möglicherweise dazu führt, das kritische Begleiten von technischen Anwendungen aus dem Blick zu verlieren. Auch kann sich nicht jedes Kulturhaus teure mediale Installationen leisten. Technik hat seinen Preis und oftmals fehlen Know-How und Personal für eine digitale Transformation, besonders in kleineren Museen. Zugleich muss bedacht werden, dass technische Medien immer auch einer regelmäßigen Wartung bedürfen. Und je größer und komplexer der Technikeinsatz in Ausstellungen ausfällt, desto wartungsintensiver und störungsanfälliger kann diese auch werden.
Abgesehen davon gibt es mittlerweile viele Möglichkeiten der Vernetzung und des Wissens- sowie Erfahrungstransfers. Verbundprojekte arbeiten an gebündelten Pools von Know-How, von welchen in Zukunft viele Museumshäuser profitieren können. Einen derartigen Wissenspool strebt beispielsweise das Projekt „Kulturgut Fastnacht digital“ an. Die Museen der Schwäbisch-alemannischen Fastnacht7 entwickeln bis Ende 2022 Konzepte für ganze Ausstellungs- und einzelne Anwendungsformate, die Bräuche über Medien digital und virtuell vermitteln. An diesem Prozess sind Expert:innen verschiedener Disziplinen beteiligt und ermöglichen eine multiperspektivische Vorgehensweise und einen interdisziplinären Wissenspool. Am Ende des Prozesses stehen die Ergebnisse, Leitfäden und Entwicklungsberichte anderen Kulturinstitutionen frei zur Verfügung. Auf diese Weise wird die entwickelte Expertise weitergegeben und kann weiterentwickelt werden. Gerade für Museen mit weniger umfangreichen Möglichkeiten in Bezug auf Forschung und Expertise können derartige Wissenspools und -transfers eine große Hilfe darstellen.
Medieneinsatz und Publikumsrezeption
Ob analoge oder digitale Medien – sie müssen immer mit den Ausstellungsinhalten in Einklang gebracht werden, um ein stimmiges Besuchserlebnis zu gewährleisten. Dabei lässt sich der Mehrwert eines Einsatz von Medien vor allem durch die Rezeption der Besucher:innen erkennen.
Im Zuge der VR-Installation „Mit dem Mönch am Meer“ in der Alten Nationalgalerie Berlin 2019 wurde beispielsweise das Rezeptionsverhalten der Besucher:innen ausstellungsbegleitend untersucht. Das bekannte gleichnamige Werk des Künstlers Caspar David Friedrich „Mönch am Meer“ konnte im Zuge der Ausstellung durch VR-Brillen virtuell erlebt werden. Die Besucher:innen tauchten im virtuellen Raum in das Gemälde selbst ein und konnten dem Mönch begegnen. Ein Team des Verbundprojekts museum4punkt0 erforschte die Bedürfnisse der Besucher:innen: Ob das gewünschte Vermittlungsziel erreicht wurde, wie tief die Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk erfolgte, ob die Installation neue Besucher:innengruppen aktivierte und wie sich das Kosten-Nutzen-Verhältnis verhielt. Solche Rezeptionsanalysen ermöglichen es, bestimmte Medien besser auf ihren Mehrwert für Ausstellungsinhalte zu testen und zu analysieren.
Abseits von virtuellen Museumsinstallationen lässt sich eine derartige Reflexions- und Rezeptionsforschung auch auf andere Medien projizieren. So kann und wird oftmals auch die Annahme interaktiver Touchscreens, Hörstationen oder Storytelling-Elemente durch mobile Endgeräte erforscht. Wie nehmen Besucher:innen diese bei ihrer Reise durch eine Ausstellung wahr? Unterstützen diese die Vermittlung der Ausstellungsinhalte? Und auch im digitalen Raum können Anwendungen und Vermittlungstools in ihrer Wirkung erforscht werden. Das Internet eröffnet ganz neue Möglichkeiten der Ausstellungsgestaltung und auch der Rezeptionsforschung. Über Soziale Medien kann das Publikum beispielsweise im Vorhinein befragt und in die Konzeption von Ausstellungsinhalten eingebunden werden. Auch Analysen des Website-Verhaltens können das Nutzungsverhalten des Publikums dokumentieren und analysieren. Denn eine VR-Anwendung muss nicht unbedingt fruchtbar für alle zu vermittelnden Inhalte sein und kann mit manchen Inhalten besser funktionieren als mit anderen.
Ausblick – Was ist gute Kulturvermittlung?
Was ist die Rezeptur für gute technikbasierte oder nicht-technikbasierte Kulturvermittlung? Ausstellungen wie „In VR we trust“ erinnern uns daran, technische Entwicklungen immer auch kritisch zu begleiten. Das ermöglicht es uns, Vermittlungsinstrumente in ihrer gegenwärtigen Nutzung zu hinterfragen und ihre Grenzen auszutesten. Zudem sollten digitale oder virtuelle Medien in der Kulturvermittlung nicht allein um der Technik willen eingesetzt werden, sondern immer auch einen Mehrwert für den Inhalt haben. So wie sich in Geschichtsmuseen Ausstellungen im besten Falle kritisch mit Geschichte auseinandersetzen, darf ein kritisches bzw. reflektiertes Auseinandersetzen mit dem Einsatz von Medien in der musealen Vermittlung nicht fehlen.
1 URL: https://www.museum4punkt0.de/wie-schafft-es-ein-museum-in-die-zukunft/.
2 Über erweiterte Realitäten sowie Virtual Reality haben wir bereits berichtet. Siehe URL:
3 Hiermit beziehe ich mich auf die Frage, die in der Ausstellung „In VR we trust“ aufgeworfen wird. URL: https://www.nextmuseum.io/exhibitions/in-vr-we-trust/.
4 Die Ausstellung war coronabedingt nur online vom 05.-12.Mai einzusehen. Interessierte konnten sich anmelden und haben eine VR-Brille zugesendet bekommen. Wer eine VR-Brille zuhause parat hat, kann sie sich immer noch ansehen. URL: https://trust.invr.info/.
5 Übersetzt bedeutet das Zitat: „Das Medium ist die Botschaft“. Diese Aussage des Kommunikationswissenschaftlers spielt darauf an, dass die kommunikativ zu vermittelnde Botschaft durch das Kommunikationsmedium beeinflusst wird. Er provoziert, indem er die These aufstellt, dass die Form eines Mediums die Botschaft auch überformen kann.
6 Vgl. „In VR we trust“ URL: https://www.nextmuseum.io/exhibitions/in-vr-we-trust/.
7 Darunter fallen das Fastnachtsmuseum Schloss Langenstein und das Museum Narrenschopf in Bad Dürrheim. URL: https://www.museum4punkt0.de/teilprojekt/kulturgut-fastnacht-digital/.
Updaten sie ihren Browser um diese Webseite richtig betrachten zu können.