KULTUR
Innovative Formen medialer Kulturvermittlung
BEWEGT
Kultur, Kunst oder Geschichte zu erleben, bedeutet im 21. Jahrhundert längst nicht mehr, sich ausschließlich in (Museums-) Ausstellungen zu begeben und Exponate analog auf sich wirken zu lassen. Mittlerweile werden durch technische Innovationen neue Räume geschaffen, in denen sich Kultur und Mensch begegnen können. Viele Museen bieten gegenwärtig virtuelle Führungen, digitalisierte Exponate oder Augmented-, sowie Virtual-Reality-Anwendungen an.
Spannend zu beobachten ist in diesem Kontext insbesondere die Entwicklung virtueller Museen, die kein analoges Pendant besitzen, sondern ausschließlich im digitalen Raum existieren. Diese Museen bieten Menschen die Möglichkeit, sich mit einem Thema auseinanderzusetzen, ohne einen „realen“ Raum betreten zu müssen. Der Museumsbesuch findet ganz einfach über eine Website im Netz statt, die je nach Ansinnen unterschiedlich komplex gestaltet sein kann.
Auch in Erkelenz und Halle (Westf.) sind zwei solche virtuellen Museen entstanden. Wir haben mit Bernd Finken vom Museum der verlorenen Heimat und Dr. Katja Kosubek von den Haller Zeiträumen gesprochen, um ein bisschen mehr über das Verhältnis von Museum und Virtualität zu erfahren.
Die Welt in Tropfen – Halle (Westf.)
Die Haller Zeiträume entstanden aus einer Initiative der provomierten Historikerin Katja Kosubeks, die in Halle (Westf.) geboren ist. „Als Jugendliche mit 16, 17 bin ich auf meinem Fahrrad durch die Gegend gefahren und immer wieder kam es vor, dass in Halle jemand gestorben war und dann das Haus ausgeräumt wurde. Dann kam eine große Mulde vor das Haus und da wurde alles reingeschmissen, was dieser Mensch besessen hat. Das waren alte Koffer und Kleidung, Kisten voll mit Feldpostbriefen. Und wir dachten uns als Jugendliche: Das kann man doch nicht einfach wegschmeißen.“ So entstand nach einem Geschichtsstudium in Hamburg und diversen Museumserfahrungen schließlich die Idee, wieder zurück nach Halle zu kehren und dort ein – nicht ganz gewöhnliches – Heimatmuseum zu eröffnen: „Wir wollten kein normales Heimatmuseum haben, sondern immer auch Bezüge zeigen, wie sich große Geschichte, Weltgeschichte, hier im Kleinen niedergeschlagen hat, Welt in Tropfen sozusagen. Das war der Sinn des Museums – es wird Weltgeschichte am Beispiel von Halle gezeigt. Ein aktuelles Beispiel in diesem Winter war die Spanische Grippe von 1918/19, an welcher viele Menschen gestorben sind. Und da zeigen wir, was hier in Halle losgewesen ist zu dieser Zeit und was persönliche Schicksale waren. Denn der Ansatz ist einerseits, Weltgeschichte im Kleinen zu zeigen und andererseits auch immer, Geschichten von Menschen zu erzählen, die in dieser Zeit gelebt haben.“ Da aber ein Museumsgebäude vor Ort – mit all seinen personellen und finanziellen Kostenpunkten – nicht umgesetzt werden konnte, schlugen Kosubek und ihr Team der Stadt Halle schließlich ein virtuelles Museum vor.
Die verlorene Heimat – Stadtgebiet Erkelenz
Auch bei der Entscheidung für ein virtuelles Museum in Erkelenz spielte die Finanzierung eine wichtige Rolle: „Die Betriebskosten eines virtuellen Museums sind überschaubar. Man muss kein Personal beschäftigen, das Führungen gibt, das Karten verkauft. Man ist also nicht auf Fixkosten in hohem Maße festgelegt.“ Das Erkelenzer Museum der verlorenen Heimat entstand auf Initiative des regionalen Heimatvereins. Vor dem Zweiten Weltkrieg existierte bereits ein Museumsgebäude in der Kleinstadt, welches allerdings dem Krieg zum Opfer fiel. Im Jahr 2015 wurde schließlich ein Symposium in der Stadt einberufen, um über die Perspektiven eines neuen Museums zu diskutieren – am Ende stand die Idee, einen virtuellen Weg einzuschlagen. Bernd Finken, ehrenamtliches Vereinsmitglied, beschreibt den Vorgang wie folgt: „Ein Gesamtkonzept wurde geschmiedet. Aus diesem Gesamtkonzept wurden dann fünf Bauabschnitte erstellt, die auch einzeln für sich stehen können, ohne dass weitergebaut werden muss, falls uns am Ende die Finanzierung fehlt.“ Auch das Erkelenzer Museum will kein „normales“ Heimatmuseum sein: „Das Stadtgebiet Erkelenz ist Teil des Braunkohle Tagebaus Garzweiler 2. Im Zuge der Ausweitung des Tagebaus werden sieben Dörfer des Stadtgebiets verschwinden. Wir haben unsere Aufmerksamkeit erstmal daraufgelegt, diese Dörfer, die verschwinden sollen, zu dokumentieren. Zu Beginn des Museumsaufbaus waren bereits zwei Dörfer nicht mehr präsent. Diese können nur noch durch Bildmaterial nachvollzogen werden. Ein drittes Dorf war bereits weit im Abbruch und ein weiteres Dorf war Keyenberg, das gerade oft durch die Medien geht. Der Ort war zu diesem Zeitpunkt nicht nur hinsichtlich der Wohnsituation komplett, sondern auch die Menschen, Vereine, das kulturelle Leben, waren zu diesem Zeitpunkt noch vollständig. Wir haben dann mit unseren Mitteln versucht, diesen Ort noch vollständig zu dokumentieren.“ Dabei wurde ein besonderer Schwerpunkt auf Kulturgüter, wie Wegekreuze, markante Bauten, wie alte Bauernhöfe, oder Landschaftsmerkmale, wie die Quelle des Flusses Niers in Keyenberg, gelegt. „Solche Dinge sind dann fotografisch erfasst worden. Erstmal durch einen Drohnenflug durch den ganzen Ort, dann durch einfache Standfotos.“ Aus manchen Objekten wurden schließlich 3D-Gegenstände, Kugelpanoramen, Bilder oder Filme, die in die Website integriert wurden – alles erstmal zu Dokumentationszwecken, denn die realen Objekte vor Ort wird es bald nicht mehr geben.
Partizipatives Museum
Ein bisschen anders gestaltet sich die Situation in Halle. Hier existiert neben dem virtuellen Museum noch eine reale Sammlung von Gegenständen, die als Schenkungen an das Museum gingen. „Unsere Dauerausstellung ist tatsächlich im Internet. Es existiert aber im Hintergrund eine reale Sammlung, denn einige Dinge haben wir schon als Schenkung bekommen. Es gibt auch Leute, die sagen: Das sollen Sie mal haben, wenn ich nicht mehr bin, solange will ich es aber noch bei mir behalten, weil da Erinnerungen dranhängen. Wir bemühen uns, immer mal wieder mit diesen Gegenständen eine Ausstellung zu machen – was natürlich ein enormer Aufwand ist, da wir nur den öffentlichen Raum zur Verfügung haben. Deshalb gibt es vielleicht eine Ausstellung im Jahr, vielleicht nur alle zwei Jahre.“ Besonders erfreut Kosubek das Engagement der Haller Bürger:innen: „Es gibt viele Leute, die sich dann auch am Museum beteiligen, indem sie zuhause auf dem Dachboden kramen und dann was vorbeibringen und fragen, was das denn sein könnte. Manchmal wissen wir das. Manchmal haben die Bewohner aber auch selbst eine tolle Geschichte zu einem Gegenstand, die sie erzählen können und das übernehmen wir gerne.“ Sowohl das Museum in Halle als auch das Erkelenzer Museum leben von ehrenamtlichen Helfer:innen. Ohne diese würden die virtuellen Geschichtsorte so heute nicht existieren. Vielen der Menschen aus beiden Regionen ist an Dokumentation und Erforschung der regionalen Geschichte gelegen und somit bleibt der Anreiz zur Partizipation groß.
Potentiale virtueller Museen
Wann entstehen oder lohnen sich virtuelle Museen generell, Frau Kosubek?
"Museen, die ein kleineres Publikum ansprechen, sei es, dass sie stadtgeschichtliche Museen in einer Kleinstadt sind, oder dass sie einen Themenschwerpunkt haben, der vielleicht nur eine kleine Fangemeinde erreicht, da würde ich immer sagen, da ist ein virtuelles Museum genau der richtige Ansatz, um erst einmal anzufangen.“
Und welche Vor- und Nachteile erkennen Sie?
"Für große Museen ist ein zusätzlich virtuelles Museum eine super Möglichkeit, viele Dinge zu zeigen, die sonst nur in den Sammlungen schlummern. Nur ungefähr 5% der Gegenstände eines Museums werden normalerweise in Ausstellungen gezeigt und die anderen werden zu Forschungs- oder Dokumentationszwecken genutzt. Über den virtuellen Raum lässt sich wirklich öfter mal etwas Anderes zeigen. Es muss nicht extra eine Vitrine gebaut werden, sondern man lädt einfach einen neuen Artikel hoch und kann sich mit diesem Gegenstand beschäftigen. Was dem virtuellen Museum fehlt, ist, dass man nicht reingehen und vor dem authentischen Objekt stehen und es von allen Seiten in kleinen Details betrachten kann. Dieser Zauber des Gegenstands, die Unmittelbarkeit, fehlt, das finde ich sehr schade.“
Virtuelle Museen sind weltweit über Smartphone oder PC zugänglich. Die Standort-Ungebundenheit erkennt auch Bernd Finken als großen Vorteil: „Normalerweise ist ein Museum ja eher lokal zu betrachten, aber ins virtuelle Museum, da können sich Besucher aus Brasilien oder Australien einklinken.“
Was wünschen Sie sich für das Museum in Zukunft, Frau Kosubek?
"Ich würde mir wünschen, dass wir mehr reale Ausstellungen machen können, vielleicht auch eine Fläche bekommen, auf der wir immer eine besondere Ausstellung zeigen können, parallel zu der Dauerausstellung im Internet. Das wäre prima.“
Und Sie, Herr Finken?
"Das Museum soll demnächst das gesamte Gebiet Erkelenz einschließen, mit 46 Ortschaften, aber momentan liegt der Schwerpunkt noch auf den vom Kohleabbau betroffenen Orten, die demnächst nicht mehr zu sehen sind. Auf diese Weise kann ein Großvater seinem Enkel mal zeigen, wo er gewohnt hat und wie sein Haus ausgesehen hat, fast so als sei er vor Ort. Das ist wichtig – diese realitätsnahe Darstellung und diese Art und Weise der Dokumentation. Und es sollen nicht nur die Gegenstände, sondern ebenso die Menschen zur Geltung kommen, deshalb versuchen wir auch Rituale und Feste festzuhalten.“ Daneben werden im Erkelenzer Museum momentan Spiele in die Webseite eingebaut, um junge Menschen genauso wie ältere Generationen zu erreichen.
Zum Abschluss unseres Interviews hat Katja Kosubek noch eine schöne Geschichte zur Hand: „Eine Freundin von mir wohnt in Kalifornien und wenn sie Heimweh hat, dann geht sie auf die Museumswebsite und hört sich das Glockenläuten von Halle an. Das ist alles möglich mit einem virtuellen Museum." Virtuelle Museen entsprechen somit genau dem gegenwärtigen Zeitgeist, der Flexibilität und Standort-Ungebundenheit immer wichtiger werden lässt.
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