Digitale Teilhabe – Social Media und Barrierefreiheit

09.11.2022 Katharina Hauck

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Im Zuge digitaler Transformationsprozesse und der stetigen Verlagerung von Informationen und Vermittlungsangeboten in den digitalen Raum stehen Kulturinstitutionen vor der Herausforderung, ihr digitales Angebot möglichst barrierearm zu gestalten, um Teilhabe für alle Menschen zu gewährleisten. Während für den Abbau von Barrieren im analogen Raum mittlerweile ein Bewusstsein besteht, steckt die Barrierefreiheit im Internet noch in den Kinderschuhen.1 Insbesondere die Nutzung von Social Media Plattformen ist dadurch für viele Menschen mit Behinderung bisher gar nicht oder nur eingeschränkt möglich.

Eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) aus dem Jahr 2022, die die Barrierefreiheit der öffentlichen Verwaltung im Zeitraum vom 01. Januar 2020 bis zum 22. Dezember 2021 untersuchte, kam zu dem Ergebnis, dass im Bereich der digitalen Barrierefreiheit noch großer Aufholbedarf besteht.2 Keine der in der Studie überprüften Webseiten der öffentlichen Verwaltung in Deutschland erfüllte alle Anforderungen an die Barrierefreiheit, die seit 2019 eigentlich bundesweit gesetzlich vorgeschrieben sind.3 Orientierung für die EU-Richtlinien liefern dabei die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG):

 

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Web Content Accessibility Guidelines (WCAG)

Die Web Content Accessibility Guidelines haben sich auf EU-Ebene entwickelt.  Sie beinhalten eine Vielzahl an Kriterien für die Gewährleistung einer digitalen Barrierefreiheit. Im Mittelpunkt der WCAG stehen die vier Prinzipien Wahrnehmbarkeit, Bedienbarkeit, Verständlichkeit und Robustheit.

Konkret soll Barrierefreiheit für Menschen gewährleistet werden, die betroffen sind von „Blindheit und Sehbehinderung, Gehörlosigkeit und nachlassende[m] Hörvermögen, Lernbehinderungen, kognitive Einschränkungen, eingeschränkte[r] Bewegungsfähigkeit, Sprachbehinderungen, Photosensibilität und Kombinationen aus diesen Behinderungen.“4

Im Mai 1999 wurde die erste Generation der Web Content Accessibility Guidelines die WCAG 1.0 veröffentlicht. Seitdem hat sich viel getan: Nach mehreren Überarbeitungen wird in diesem Jahr wird bereits die fünfte Version der Richtlinien (WCAG 3.0) erwartet, denn durch immer schnellere digitale Transformationsprozesse und technische Neuerungen verändern sich auch die Bedürfnisse und Maßnahmen, um Barrierefreiheit langfristig und nachhaltig zu gewährleisten.

 

Initiative #BarrierefreiPosten

Während die digitale Barrierefreiheit der öffentlichen Verwaltung bereits wissenschaftlich untersucht wurde, gibt es zur Barrierefreiheit digitaler Angebote im Kulturbereich bisher noch keine belastbaren Studien. Vor allem die Sozialen Medien als digitale Informations- und Kommunikationsplattformen blieben zunächst von den Richtlinien weitestgehend unangetastet.5 Doch die Initiative #BarrierefreiPosten, welche sich 2019 gegründet hat, sieht gerade im Bereich Social Media viel Aufholbedarf. „Social Media hat enormes Potenzial für die Teilhabe von Menschen mit Behinderung“6 – eigentlich! Dieses müsse nur genutzt werden, so Heiko Kunert, Mitbegründer der Initiative und Geschäftsführer des Blinden- und Sehbehindertenvereins Hamburg. Denn die Bedürfnisse von sehbehinderten, gehörlosen oder anderweitig eingeschränkten Menschen finden noch viel zu wenig Berücksichtigung, insbesondere bei der Produktion und Bearbeitung von Video- oder Bildcontent. Dafür will die Initiative sensibilisieren und den Abbau von Barrieren in den Sozialen Medien vorantreiben. Deshalb klärt #BarrierefreiPosten auf Twitter, Facebook und Instagram über die Möglichkeiten auf, die Plattformen möglichst barrierearm zu gestalten.

Mit den folgenden Tipps für den Abbau von Barrieren in den Sozialen Medien knüpfen wir an unseren bereits veröffentlichten Artikel zur Barrierefreiheit von Websiten  an.

 

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Eine Vielzahl an Barrieren

Wichtig für die Gestaltung barrierefreier digitaler Angebote im Allgemeinen ist zunächst ein Bewusstsein für die Vielzahl existierender sichtbarer und unsichtbarer Einschränkungen: Menschen kann aufgrund von                                                                                                                                                  

Sinnesbehinderungen, wie Seh-, Hör- und Sprachbeeinträchtigungen oder anderer Körperbehinderungen der Zugang zu Kulturangeboten verwehrt sein. Aber auch die Informationswahrnehmung und -verarbeitung ist bei Menschen verschieden ausgeprägt und kann bei der Schnelligkeit von Videos oder der gewählten Sprache eines Textes ein Problem darstellen. Außerdem können auch mangelnde Kompetenzen bspw. im Umgang mit Technik und Apps Barrieren sein.

Deshalb werden Barrieren im digitalen Bereich meist in drei grobe Bereiche eingeteilt: Graphische Aspekte, Inhaltliche Aspekte und Technische Aspekte, und.

Im Folgenden haben wir eine Checkliste für Social Media erstellt, mit der die eigene Social Media-Posts auf mögliche Barrieren getestet werden können.7

 

Checkliste für eine barrierefrei Nutzung von Social Media-Plattformen

1) Fotos bzw. Bilder, GIFs oder Memes in Posts sind oftmals nicht beschriftet. Für Menschen mit eingeschränkter Sehfähigkeit kann dies zu Schwierigkeiten bei der Rezeption führen.

Lösung:

Es gibt auf Twitter, Facebook und Instagram die Möglichkeit, wie auf Webseiten auch, Alternativtexte zu den Fotos hinzuzufügen. Diese werden von den Screenreadern bzw. der Sprachausgabe erkannt und vorgelesen.

Kriterien für Alternativtexte:

Möglichst kurz

Konzentration auf das Wesentliche

Keine Interpretation, sondern Beschreibung des Fotos

Texte auf dem Foto als Zitate kennzeichnen

Manche Plattformen bieten auch Bildtexte an, die automatisch von KIs erstellt werden. Diese sind meist jedoch nicht so treffend wie selbst verfasste.

 

2) Videos bzw. Reels auf den Social Media-Plattformen können für sehbehinderte oder gehörlose Menschen ein Hindernis darstellen.

Lösung:

Untertitel für Videos erstellen. Darin sollte das zu Hörende beschrieben werden.

Auch hier sind selbst verfasste Untertitel genauer als KI-basierte.

Auf Instagram können in den KI-basierten Untertiteln aber auch noch Wörter oder Sätze korrigiert werden.

Eigene Tonspur für blinde Menschen, in der die visuellen Elemente beschrieben werden.         

Als Alternative dazu können visuelle Elemente auch im dazugehörigen Text oder im Ton des Videos selbst beschrieben werden.

In Reels oder Stories auf Instagram werden Untertitel gegenwärtig von der Sprachausgabe noch nicht erkannt.

 

3) Bei Hashtags bspw. in Twitter-Posts können Screenreader die einzelnen Wörter nur dann richtig erkennen und vorlesen, wenn jedes Wort mit einem Großbuchstaben beginnt.

Bsp.: #DigitaleBarrierefreiheitAufSocialMedia

Hashtags am besten am Ende eines Posts platzieren, dort können sie gut übersprungen werden und sind vom Text getrennt.

 

4) Möglichst sparsam mit Emojis umgehen.

Diese werden von Screenreadern sonst alle einzeln vorgelesen. Das kann bei vielen aufeinanderfolgenden Emojis verwirren und lange dauern.

Ebenso wie Hashtags auch, vom Text trennen und am besten an den Schluss stellen.

 

5) Einsatz von Leichter bzw. Einfacher Sprache, um Textinhalte für alle zugänglich zu machen.8

Kurze Sätze verwenden, am besten mit bis zu zehn Wörtern

Aktive Verben verwenden

Sparsamer Umgang mit Fremdwörtern oder Anglizismen

Pro Zeile nur eine Information

Bei komplizierten Wörtern den Mediopunkt einsetzen. Dieser trennt ein langes Wort in mehrere Teile, lässt dieses aber noch als Ganzes erkennen.

Bsp.: Behinderten•gleich•stellungs•gesetz

Komplizierte Wörter erklären

 

6) Einsatz von Triggerwarnungen bei Inhalten, die Menschen potentiell retraumatisieren können.

 

Testen und Prüfverfahren

Vor dem Erstellen von Inhalten auf Social Media-Plattformen sollte sich mit der Vielzahl an Hürden und Barrieren auseinandergesetzt werden, die einer Teilhabe aller Menschen im Weg stehen können. Unsere Checkliste beinhaltet nur einige Hinweise ,  um Barrieren auf den Plattformen  abzubauen. Wichtig ist deshalb auch, betroffenen Personen direkt als Zielgruppe anzusprechen und in die Entwicklung barrierefreier Inhalte – sowohl als Expert:innen als auch als Tester:innen – einzubeziehen. Denn nur wenn allen Menschen der Zugang zu Inhalten ermöglicht wird, kann sich unsere Gesellschaft wirklich inklusiv nennen.

 

Links und Leitfäden zu digitaler Barrierefreiheit

- https://swat.io/de/verwalten/barrierefreier-social-media-content/

- https://omr.com/de/reviews/contenthub/barrierefrei-posten

- https://barrierefreiposten.de/barrierefreiPosten.html

- https://t3n.de/magazin/inklusion-im-internet-so-werden-249553/

- https://www.barrierefreies-webdesign.de/richtlinien/wcag-2.1/#:~:text=Die%20Web%20Content%20Accessibility%20Guidelines,f%C3%BCr%20Menschen%20mit%20Behinderungen%20sicherstellen.

- https://www.bfit-bund.de/DE/Aktuelles/aktuelles_artikel.html

- https://www.bundesfachstelle-barrierefreiheit.de/DE/Fachwissen/Informationstechnik/EU-Webseitenrichtlinie/FAQ/fragen-antworten-eu-richtlinie-websites-und-mobile-anwendungen.html

- Digitale Barrierefreiheit. Ein Leitfaden für zugänglichere digitale Angebote – Bertelsmann Stiftung – Taner Aydin (Hrsg.) (2021-05-21)

- Praxishandbuch_inkl_online.pdf (2016)

- https://www.inklusion-kultur.de/infoportal/kommunikation-information/websites-soziale-medien/

- https://www.einfach-fuer-alle.de/

 

Der Begriff Barrierefreiheit ist nicht unumstritten. Er suggeriert, dass eine komplette Freiheit von Barrieren möglich sei, obwohl in Wirklichkeit zwar ein Abbau von Barrieren, jedoch keine gänzliche Freiheit davon möglich ist. Oft wird deshalb von Barrierearmut oder im englischen von accessibility gesprochen. In unserem Artikel verwenden wir deshalb Barrierearmut und Barrierefreiheit als Synonym.

Vgl. Flüter-Hoffmann/ Rabung 2022.

Seit 2018 besteht bereits innerhalb der EU die Pflicht, dass öffentliche Stellen ihre Webseiten barrierefrei gestalten müssen. Die entsprechenden Vorgaben dafür sind in der EU-Richtlinie 2102 festgehalten. Für Deutschland wurde diese Verordnung am 25.05.2019 in der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV) gesetzlich umgesetzt. Die BITV gilt für jegliche Bestandteile der Informationstechnik (Webseiten, PDFs, Videos, etc.).

4 Richtlinien für barrierefreie Webinhalte (WCAG) 2.0.

Sowohl die EU-Richtlinien, als auch die Vorgaben in Deutschland beziehen sich nur auf die öffentlichen Stellen. Auch Social Media-Plattformen öffentlicher Stellen werden in den Richtlinien mitbedacht.

Aschenbrenner 2020.

Eine Checkliste für die Barrierefreiheit von Webseiten ist in unserem ersten Artikel zu finden.

Leichte Sprache ist im Gegensatz zu Einfacher Sprache zertifiziert.

 

Literatur

Flüter-Hoffmann, Christiane/ Rabung, Eva (16.06.2022): Digitale Barrierefreiheit: (noch) keine Vorbildfunktion der öffentlichen Verwaltung. IW-Kurzbericht Nr. 50/ 2022, Köln: Institut der deutschen Wirtschaft (IW).

Aschenbrenner, Sophie (09.01.2020): Soziale Medien sind nicht barrierefrei. Die Initiative „Barrierefrei Posten“ kämpft dafür, dass sich das ändert. URL: https://www.jetzt.de/digital/barrierefrei-posten-in-den-sozialen-medien. [Letzter Zugriff: 13.10.2022].

Richtlinien für barrierefreie Webinhalte (WCAG) 2.0. Autorisierte deutsche Übersetzung. URL: https://www.w3.org/Translations/WCAG20-de/. [Letzter Zugriff: 13.10.2022].