Museum digital – Ideen, Projekte, Zukunftsperspektiven

12.02.2020 Katharina Hauck

Live Sketching (Janna Schipper)

Am 31.01.2020 war es endlich wieder so weit: Zum zweiten Mal veranstaltete das Projekt Kultur bewegt – diesmal in Kooperation mit dem LWL-Museumsamt – seinen Kulturbrunch. Auf den Tag genau ein Jahr nach der Auftaktveranstaltung lockte der diesjährige Brunch unter dem Titel Museum digital – Ideen, Projekte, Zukunftsperspektiven knapp 90 interessierte Kulturakteur:innen in den Plenarsaal des LWL-Landeshauses nach Münster. Durch das Programm führte Kommunikationsberater Kai Heddergott. Über den Tag hinweg sorgte außerdem das Münsteraner Künstler*innennetzwerk Illustre Runde für gute Unterhaltung. Janna Schipper und Jonas Rose hielten mit Hilfe von Graphic Recording und Live Sketching Inhalte und Stimmungen perfekt fest.

 

Perspektiven, Möglichkeiten und Hemmnisse der digitalen Transformation

Über Herausforderungen und Chancen der Digitalisierung für den Kultursektor sprachen zu Beginn der Veranstaltung LWL-Kulturdezernentin Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger und die Koordinatorin des Projekts „Kultur bewegt“ Laura-Marie Krampe. Veranstaltungsformate, wie das des Kulturbrunchs, seien in Zeiten der digitalen Transformation besonders wichtig, so Rüschoff-Parzinger, da sie die Vernetzung und den Austausch beförderten. Krampe habe mit ihrem Projekt schon einiges angestoßen, in vielen Institutionen sorge die digitale Transformation jedoch nach wie vor für Ratlosigkeit und Überforderung. Es gäbe nun einmal keinen „Königsweg“ zu einer erfolgreichen digitalen Strategie. Umso wichtiger sei es für Kulturakteur*innen, einen gemeinsamen „digitalen Wissensschatz“ aufzubauen, der allen zugänglich gemacht werde und von dem jede:r profitieren könne.

Laura-Marie Krampe pflichtete dieser Einschätzung bei: „Wir können nicht immer wieder bei null anfangen, sonst verlieren wir den Anschluss.“ Für eine erfolgreiche Adaption müssten sich auch die institutionellen Strukturen verändern, denn häufig seien es nicht die Kulturakteur:innen, sondern bürokratische Hürden, die der Digitalisierung im Kulturbereich im Wege stünden.

Für die Zukunft zeigten sich beide Rednerinnen optimistisch. Schließlich seien die Kulturschaffenden in der Region durchweg motiviert, hätten bereits erfolgreich Widerstände überwunden und so zahlreiche Vorzeigeprojekte auf den Weg gebracht.

 

Alle(s) in Bewegung?

Dass die digitale Transformation auch ein Umdenken bei der Konzeption und Durchführung von Projekten erfordert, zeigte die Keynote zu agilen Handlungsansätze in der Kultur-Projektarbeit von Sven-Oliver Bemmé. Per Mentimeter-Umfrage wurde zuvor der Informationsstand der Teilnehmer*innen ermittelt: Was bedeutet Agilität, ist agiles Arbeiten eher positiv oder negativ konnotiert und wie viele Akteur:innen integrieren bereits agile Handlungsansätze in ihre Arbeit? Das Ergebnis zeigte, dass viele der Anwesenden bisher noch nicht mit agilen Methoden in Berührung gekommen waren umso gespannter waren die Teilnehmer:innen auf Bemmés Vortrag.

Agiles Projektmanagement, das ist Kulturmanagement einmal anders. Übersetzt bedeutet das aus dem Griechischen stammende Wort „Agilität“ Beweglichkeit oder Gewandtheit. Bemmé erklärte, eine auf Agilität basierende Geisteshaltung könne sich positiv auf die Arbeit in Institutionen auswirken, zum Beispiel, wenn Arbeitsschritte situativ abgesteckt, Zwischenziele gesetzt und das Vorgehen je nach Bedarf (um)definiert werden könnte. Im Gegensatz zu klassischen Management-Ansätzen seien die Hierarchien dabei flach. Individuen und Interaktionen hätten Vorrang vor Prozessen und Werkzeugen. Die Arbeit selbst sei durch ein hohes Maß an Kommunikation geprägt. Tägliche Meetings und eine enge Zusammenarbeit mit Auftraggeber:innen bestimmten den agilen Arbeitsalltag. Sich auf ein agiles Mindset einzulassen, lohne sich, so Bemmé weiter, denn gewisse Arbeitsprozesse könnten mit etwas Felxibilität sehr viel effektiver gestaltet werden. Natürlich diene letztlich weder das agile noch das klassische Projektmanagement als Allzweckwaffe. Vielmehr sei es wichtig, für die eigenen Anforderungen und Ziele das richtige und individuelle Vorgehen zu finden.

Was das in der Praxis bedeutet, durften die Teilnehmer*innen nun spielerisch erfahren. Der „Agile Sprint“ war ein Highlight (und das größte Experiment!) des Tages. Es galt, sich aktiv mit der Theorie auseinanderzusetzen. Die Anwesenden wurden selbst Teil agiler Projektgruppen. In kurzweiligen Sprints ging es darum, sich der eigenen (digitalen) Kompetenzen bewusst zu werden, anschließend in heterogenen Gruppen zusammenzufinden und gemeinsame Projektideen zu erarbeiten. Am Ende der angesetzten 75 Minuten zeichneten sich bereits erste vielversprechende Konzepte ab. Einfallsreichtum und Spaß blieben dabei nicht auf der Strecke. Ob die Planung einer Website mit Mettendchen-Rezepten, Pumpernickel-Fotowettbewerbe („Mein Brot und ich“) oder die Geschichte westfälischer Biersorten – der Kreativität waren keine Grenzen gesetzt. Das Ziel des Spiels geriet dabei natürlich nicht aus dem Fokus: die Grundprinzipien agilen Arbeitens zu verdeutlichen.

 

AR, VR, Gaming – Good Practice aus der Region

Nach dem Brunch kehrten die Teilnehmer:innen gestärkt aus der Pause zurück. In der zweiten Tageshälfte durften sie sich von drei Good Practice-Projekten aus der Region inspirieren lassen. Den Anfang machten Dr. Jan Graefe vom Bibelmuseum der WWU Münster, sowie Christian Vogler und Marcel Kaup von BOK + Gärtner. Sie präsentierten die neue VR-Inszenierung des Bibelmuseums.

Ziel der Inszenierung sei es, den Besucher:innen die Ausstellungsstücke inhaltlich wie räumlich näher zu bringen. Denn die Originalexponate, hauptsächlich Schriftstücke, seien sehr empfindlich, teilweise alt und schlecht zu entziffern oder nur in so kleinen Fragmenten erhalten, dass man sie mit dem bloßen Auge kaum lesen könne. Zudem müsse der Ausstellungsraum dunkel gehalten werden, um die Exponate zu schützen, erläuterten die Referenten. Mit Hilfe der VR-Brille würden die Besucher:innen daher in einen exakten, dreidimensionalen Nachbau des Ausstellungsraumes versetzt. Dort können sie den Ausführungen der Experten lauschen, einer virtuellen Führung durch das Museum folgen oder sich die Ausstellungsstücke aus nächster Nähe ansehen, also all das tun, was im normalen Museumsbetrieb aus unterschiedlichen Gründen häufig nicht möglich ist. Ein beeindruckendes Erlebnis, von dem sich die Teilnehmer:innen des Brunchs sogar selbst überzeugen konnten – die VR-Station zum Ausprobieren hatten Christian Vogler und Marcel Kaup gleich mitgebracht.

Im Anschluss erweckte Dr. Susanne Jülich, stellvertretende Leiterin des LWL-Landesmuseum für Archäologie in Herne, die „Geister der Vergangenheit“ zum Leben. In Zusammenarbeit mit der Firma Puppeteers aus Dortmund entwickelten die Archäolog:innen eine AR-Anwendung, mit Hilfe derer Exponate wieder in ihren Gebrauchskontext eingebettet werden sollen. So können die Besucher:innen in Herne unter andrem den Fürst von Beckum (virtuell) beim Putzen seines Schwertes beobachten, das als Original in der Sammlung zu sehen ist. Die Detailtreue der virtuellen Nachbildungen ist dabei besonders beeindruckend. Möglich wird der Spuk durch eine App, die an bestimmten Markerpunkten im Ausstellungsraum ausgelöst werden kann. Jülich gab zusammen mit Martin Becker (Pupeteers) einen Einblick in die Projektentwicklung, die genutzte Technik und mögliche Szenarien der Weiterentwicklung.

Schließlich boten Bernd Finken und Heike Vogt vom Heimatverein der Erkelenzer Lande e.V. einen Einblick in das virtuelle Museum der verlorenen Heimat und ließen die Anwesenden damit an einem emotionalen Projekt teilhaben. In dem nur virtuell existierende Museum dokumentieren die ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen, wie die Region um Erkelenz immer mehr vom Kohlebau eingenommen wird und sowohl Landschaft, als auch Dörfer langsam aber stetig vom Tagebau verdrängt werden. Finken insistierte, die Erinnerungen an die „verlorene Heimat“ dürften nicht mit den Zeitzeug:innen aussterben, sondern müssten auch für die nachfolgenden Generationen bewahrt werden. Wie das funktionieren kann, zeigten die Referent:innen auf eindrucksvoll Weise.

Das Portal der verlorenen Heimat bietet unterschiedliche Zugänge: Eine interaktive Karte mit Informationen zu ehemaligen Orten, Videos vom Abriss bedeutender lokaler Monumente, Zeitzeug:innengespräche oder Fotos von der Vergangenheit bis in die Gegenwart. All diese Medien können Besucher:innen anwählen, um sich Stück für Stück ein Bild von der Region und ihren Veränderungen zu machen. Ergänzt wird die Plattform künftig durch ein Online-Game, mit dem auch jüngere Besucher:innen die Erkelenzer Lande auf attraktive, spielerische Weise erkunden können. Diese zweite Entwicklungsphase werde voraussichtlich Ende des Jahres abgeschlossen, so Finken.

 

Live Sketching (Janna Schipper)

Am Ende steht Beweglichkeit

Dr. Ulrike Gilhaus, Leiterin des LWL-Museumsamtes für Westfalen und Prof. Dr. Markus Köster, Leiter des LWL-Medienzentrums für Westfalen, zeigten schließlich noch einmal ganz praktisch was es heißt, flexibel auf Veränderungen zu reagieren. Der knappen Zeit geschuldet stellten sie in einem wahren Sprint das Konzept für ein neues Kooperationsprojekt vor. In Zusammenarbeit zwischen dem LWL-Museumsamt und LWL-Medienzentrum sollen im Rahmen der Initiative "Museum digital" über fünf Jahre hinweg Erkenntnisse zum Stand der Digitalisierung in Westfalen gesammelt, Digitalisierungsstrategien erarbeitet und mit ausgewählten Museen Pilotprojekte im Bereich der digitalen Kulturvermittlung initiiert werden. (Anm. der Redaktion: Neugierig ? Auf dem Blog lesen sie hierzu in Kürze mehr).

Dank des gestrafften letzten Vortrags konnten die Teilnehmer:innen die Veranstaltung pünktlich verlassen und in das wohlverdiente Wochenende reisen. Unser Resümee? Die (im Vergleich zum Vorjahr) verdoppelten Teilnehmer:innenzahl sprach für sich: Die digitale Transformation steigert den Bedarf nach Vernetzung, Austausch und kreativem Miteinander. Nur im Zusammenspiel unterschiedlicher Akteur:innen und Potenziale kann die Kulturvermittlung der Zukunft gestaltet werden. Nur gemeinsam können wir die Chancen, die die digitale Transformation für den Kulturbereich bereithält, für uns nutzen. Daher freuen wir uns schon jetzt auf das kommende Jahr und den Kulturbrunch 2021!