KULTUR
Innovative Formen medialer Kulturvermittlung
BEWEGT
„Wie digital sollten Museen sein?“1 – 2018, wurde diese Frage im Zuge einer Blogparade von Museumskurator Dr. Thorsten Beck aufgeworfen und im Anschluss von verschiedenen museumsnahen Autor:innen beantwortet sowie unterschiedlich bewertet. Trotz dieser drei Jahre Abstand, ist die Fragestellung so aktuell wie nie. Eine der Antworten damals lautete: „Ein Museum sollte so digital sein wie sein Publikum.“2 Nur wie digital ist das Museumspublikum? Und wie hat sich durch die Präsenz von Museen im digitalen Raum auch das Museumspublikum verändert?
Die Frage nach der Digitalität eines Museums und dessen Publikum hat innerhalb der vergangenen eineinhalb Jahre nochmals an Brisanz gewonnen – durch Corona und der damit verbundenen vorübergehenden Schließung der Kulturinstitutionen im analogen Raum. Mit der Wiederöffnung der Museumshäuser hat sich nun die Möglichkeit eröffnet diese wieder in Präsenz vor Ort zu besuchen. Doch ein Rückzug aus dem digitalen Raum bedeutet das gleichzeitig nicht, denn eines ist innerhalb der Pandemiezeit klar geworden: Der Digitale Raum stellt nicht nur eine Ergänzung des Museumshauses dar. Digitale Besucher:innen müssen als eine eigene Zielgruppe wahrgenommen und im Zuge dessen auch durch spezifische Formate und Angebote angesprochen werden. Doch wie unterscheidet sich das digitale Publikum vom analogen und wie können Museumsangebote im digitalen Raum auf die digitalen Besucher:innen zugeschnitten werden?
Ein diverses Publikum
Die Besucher:innen vor Ort
Das analoge Publikum vor Ort ist den Kulturschaffenden, die im Museum tätig sind, viel besser bekannt, als das digitale. Die Museumsmitarbeiter:innen werden tagtäglich mit den Besucher:innen konfrontiert, begegnen diesen bspw. in Führungen oder als Ansprechpartner:innen im Museumsgebäude. So haben sie ein gewisses Bild von diesen entwickelt und können zumindest grob einschätzen wie sich ihre Zielgruppe zusammensetzt.
Da der äußere Blick auf die Besucher:innen aber auch täuschen kann, hat sich in den letzten Jahren die Besucher:innenforschung etabliert. Mit dieser kann ein relativ konkretes Bild des Museumspublikums gezeichnet werden. Denn die Besucher:innenforschung wirft Fragen auf wie: „Warum gehen Besucher ins Museum, wer sind diese Besucher, wie bewegen sie sich durchs Haus und was fesselt sie?“3 Werden diese Studien, die meist mit Hilfe der Beantwortung von Fragebögen erfolgt, in regelmäßigen Abständen durchgeführt, so können die Kultureinrichtungen ein sehr genaues Bild von ihrer Zielgruppe gewinnen und ihre Angebote deren Bedürfnissen anpassen. Merkmale, die im Zuge der Besucher:innenforschung erhoben werden orientieren sich an sozioökonomischen Faktoren wie Alter, Geschlecht, Beruf oder Einkommen und können das Museumspublikum in Form von Statistiken erfassen. Im Anschluss daran können Konzepte entwickelt werden, um die Angebotssparte des eigenen Hauses zu erweitern und neue Alters- sowie Gesellschaftsgruppen zum bereits vorhandenen Publikum dazuzugewinnen. Dies wird auch als Publikumsentwicklung oder Audience Development bezeichnet. Beides ist wichtig, um sich den Perspektiven und Bedürfnisse des eigenen Publikums bewusst zu werden.
Ein durchsichtiges Publikum im digitalen Raum?
Das digitale Museumspublikum ist im Gegenzug zum analogen „nicht vor Ort, kommt nicht vor Ort und will digital erreicht werden“4. Dabei sind digitale Publikumsgruppen alles andere als ein neues Phänomen – urteilt der Kunsthistoriker Prof. D. Holger Simon.5 Liveübertragungen von Theater- oder Opernstücken – per Telefon – gab es bereits Anfang des 19. Jahrhunderts. Die digitalen Bedürfnisse dieser Zielgruppe nun genauer zu analysieren, birgt eine große Chance für Kulturhäuser. Museen können so auch im digitalen Raum attraktiv gestaltet und den Bedürfnissen der digitalen Besucher:innen angepasst werden ohne, dass das analoge Museumspublikum dabei an Relevanz verliert. Der Museumsraum muss als erweiterter Raum mit spezifischen Komponenten wahrgenommen und beide Zugängen – digital und analog – gleichermaßen ansprechend gestaltet werden.
Der um den digitalen Raum erweiterte Museumsraum bietet durchaus Vorteile. Die Ortsunabhängigkeit, welche dadurch entsteht, kann den Museumsraum für Menschen öffnen, die es nicht vor Ort ins Museum schaffen und somit einen Beitrag zur Barrierefreiheit von Museen leisten. Auch kann der digitale Raum – je nachdem wie dieser genutzt wird - eine viel größere Publikumsgruppe anziehen. Denn es braucht nur wenige Klicks, um in diesen einzutreten, die Nutzung der Angebote kann meist anonym erfolgen sowie beliebig schnell auch wieder beendet werden. Das bedeutet aber auch, dass das Nutzungsverhalten der digitalen Besucher:innen analysiert werden muss, um die eigenen digitalen Angebote daran anzupassen und attraktiv zu gestalten.
Auch im digitalen Raum kann Besucher:innenforschung betrieben werden. Alleine durch die Analyse des Datenverkehrs der Museumsplattformen oder -websites im Internet, können Kennzahlen über das Publikum gewonnen werden. Wie viele Personen greifen auf die Angebote zu, wie lange verweilen sie auf bestimmten Seiten und welche Tageszeit ist die beliebteste? Genauso können Umfragen zu Forschungszwecken online gestaltet sein, um die digitalen Bedarfe des digitalen Publikums möglichst konkret zu erfassen. Auch wenn die Publikumserforschung in diesem Bereich noch nicht so weit fortgeschritten ist wie die Analyse der Besucher:innen vor Ort, so gibt es doch schon seit einigen Jahren Vorschläge und Ansatzpunkte zur Kategorisierung des digitalen Publikums und der darauffolgenden Ausrichtung der Museumsangebote. Die Tate Gallery in London kategorisierte das digitale Publikum im Zuge ihres Digitalisierungsprozesses bereits 2013-2015 in die vier Gruppen der Researcher, Self-Improver, Art-Enthusiasts und Explorer.6 Dabei setzten die Museumsmitarbeiter:innen die Motivation und das Vorwissen ihrer Besucher:innen als Variablen. Die Unterteilung in Gruppen kann nun dabei helfen passende Angebote für die spezifische Gruppe zu produzieren. Diese Art der Gruppeneinordnung kann auch in anderen Museen zu einem konkreteren Bild der Museumsbesucher:innen im digitalen Raum verhelfen. Denn gerade im Netz ist es – insbesondere durch Social Media Kanäle - einfacher für das Museum nicht mehr nur „Sender, sondern auch Empfänger von Nachrichten“7 zu sein und sich den Anliegen der Besucher:innen anzunehmen.
Der Bedarf nach der Akzeptanz des digitalen Raums als eigenständiger Museumsraum ist also längst vorhanden, er muss nur richtig erkannt und genutzt werden. So müssen Museen sich dem Publikum im digitalen Raum annähern und diesen attraktiv gestalten.
Der erweiterte Museumsraum
Mit dem Eintritt ins Internet haben sich die „räumlichen Möglichkeiten [...] quasi verdoppelt“8. Somit hat sich auch ein ganz neuer Vermittlungshorizont aufgetan. Den digitalen Raum zu erschließen und einzunehmen muss als Aufgabe genauso ernst genommen werden, wie die Museumsräume im Haus vor Ort zu gestalten. Spätestens jetzt – nach eineinhalb Jahren Corona-Herausforderung – ist den meisten Kulturschaffenden bewusst geworden, dass es keinen Weg zurück gibt. Für den digitalen Museumsraum müssen spezielle Angeboten geschaffen werden, die den Bedürfnissen des digitalen Publikums gerecht werden. Dazu muss aber zunächst das Bewusstsein aufkommen, den digitalen Museumsraum als gleichwertig zum analogen zu betrachten. Denn auf die dem Digitalen spezifische Art der Vermittlung, können Inhalte auf eine andere Art und Weise an die interessierte Bevölkerung herangetragen werden und es „entsteht ein neuer, erweiterter Museumsraum, der neue Besucher anzieht“9. Dieser reicht von Angeboten auf der eigenen Museumswebsite bis hin zu Newsletter, Blog, virtuellem Museum oder Accounts auf Social Media Plattformen.
Dabei ist klar, dass es nicht ausreicht die eigene Sammlung zu digitalisieren und über die Website zugänglich zu machen. Mittlerweile gibt es so viele technische und kreative Möglichkeiten, wie Inhalte verpackt und dargestellt werden können, so dass durch die Schnelllebigkeit des Internets an Projekte und Konzepte in der Regel auch eher hohe Anforderungen an Kreativität und Umsetzung bestehen, damit diese ausreichend Beachtung finden.
Deshalb reicht auch die Besucher:innenforschung alleine nicht aus, um die für das Publikum passenden digitalen Projekte zu entwickeln. Vielmehr können die Häuser diese als Richtlinie sehen, um ihr Publikum einordnen und spezifische Interessen ableiten zu können. Im Großen und Ganzen muss im digitalen wie im analogen Raum aber auch experimentiert werden, um so durch kreative Konzepte und Besucherorientierung bzw. -kollaboration geeignete und ansprechende Inhalte zu entwickeln. Denn dieser wird ständig verändert und seine Möglichkeiten ausgebaut, wodurch klare Content-Entwicklungs-Vorgaben schwierig sind.
Von Scrollytelling bis Social Media Interaktion
Längst gibt es Häuser, die mit positivem Beispiel vorantreten und den Möglichkeitsspielraum des Internets ausloten. Gut gelungene Formate, die sich positiv im digitalen Raum einfinden sind bspw. Scrollytelling-Angebote – oft auch als Digitorials bezeichnet. Im Zuge dessen können Museen dem Publikum Geschichten präsentieren und dabei verschiedene technische Möglichkeiten miteinander kombinieren. Scrollytelling will „Bild-, Ton-, Video- und Textmaterial zu einer interaktiven Geschichte verweben“10. Um sich die Geschichte erzählen zu lassen, wird gescrollt. Beim Scrollen wird man schließlich unmittelbar mit einem kurzen Text, Bild oder Video konfrontiert, welches einem quasi „entgegenfliegt“. Die Seite passt sich dem jeweiligen nächsten Element beim Scrollen an und es wirkt ein bisschen so, als würde man physikalisch in die Geschichte eintauchen. Das wohl berühmteste Beispiel hierzu ist das Projekt „Snow Fall“ der New York Times, welches bereits im Jahr 2012 veröffentlicht wurde. Aber auch viele Museen haben mittlerweile das Format für sich entdeckt und nutzen es für ihren Internetauftritt. So lassen sich auf der Website des LWL-Museum für Kunst und Kultur Digitorials finden, die Museumsthemen anders und trotzdem spannend aufbereiten und gleichzeitig explizit auf den digitalen Raum zuschneiden.
Neben dem Scrollytelling haben viele Häuser auch andere Formate für sich entdeckt. Es werden virtuelle Museumsräume entwickelt, die sich gut in den digitalen Kontext einpassen. Außerdem präsentieren sich viele Museen mittlerweile gut auf Social Media Plattformen und nutzen diese, um interaktive Formate mit ihren Follower:innen umzusetzen; es werden Podcasts entwickelt, die gänzlich ortsungebunden zugänglich sind - und vieles mehr.
Fazit - Das digitale Publikum als Chance
„Es ist wichtig, die potenzielle Besuchergruppen gut zu kennen und zu wissen , was diese erwarten und wo sie sich aufhalten, um sie gezielt dort abholen zu können.“11 Gleichzeitig ist es aber auch wichtig die Besucher:innen miteinzubinden und den digitalen Raum gemeinsam mit diesen zu gestalten. Ins Blaue hinein digitalen Content zu produzieren, nur um digital zu sein, ist nicht hilfreich. Des Weiteren ist es auch wichtig, dass sich die digitalen Angebote die Eigenheiten des digitalen Raums zunutze machen. So dass der digitale Content nicht einfach eine Übertragung des analogen darstellt, sondern ein eigens durchdachtes Angebot für den Kontext des digitalen Raumes, um einen digitalen Mehrwert zu schaffen und die Besucher:innen positiv zu erreichen. Allgemein muss schließlich auch beachtet werden, dass die finanziellen und personellen Ressourcen für die Umsetzung der eigenen Ziele im digitalen Raum gegeben sind und dass Konzepte entwickelt werden, die zu den eigenen Museumsinhalten passen – Inhalt und technische Umsetzung müssen einander ergänzen.
„Im Zuge der Digitalisierung ist die Überlagerung von physischem Ort und digitalem Raum zur Norm geworden“12 – somit können analog und digital natürlich auch nicht vollkommen getrennt betrachtet werden. Vielmehr muss ein Zusammenspiel beider Räume das Ziel sein, in welchem aber die spezifischen Eigenschaften der einzelnen Kontexte nicht verloren gehen. Denn das Publikum ist eines, „das in seiner Wertigkeit als (digitaler) Besucher erkannt, wertgeschätzt und bedient werden möchte.“13 Dann wird die Bespielung des digitalen Raumes zum Mehrwert für Kulturinstitutionen.
1 Beck, Thorsten (2018): Einladung zur Blogparade: Wie digital sollten Museen sein? In: Museums Beck.Stage. digitales. objekte. kommunikation. URL: https://museumbeckstage.blog/2018/03/19/einladung-zur-blogparade-wie-digital-sollten-museen-sein/ [Letzter Aufruf: 29.09.2021].
2 Gries, Christian (2018): Wie digital sollten Museen (heute) sein? In: Iliou melathron. URL: https://blog.iliou-melathron.de/digitale-museen/ [Letzter Aufruf: 29.09.2021].
3 Jüdisches Museum Berlin (2014): The Connected Audience: Neue Wege der Besucherforschung. Konferenz am 27. und 28. Februar – Presseinformation. URL: https://www.jmberlin.de/connected-audience-neue-wege-der-besucherforschung [Letzter Aufruf: 29.09.2021].
4 Simon, Holger (2021): Das Digitale Publikum. Wer, wie, was? In: MFG Baden-Württemberg. URL: https://www.mfg.de/aktuelles/details/2821-das-digitale-publikum-wer-wie-was/ [Letzter Aufruf: 29.09.2021].
5 Ebd.
6 Richter, Sandra (2021): Digitale Museumsvermittlung. Untersuchungen der Angebote aus dem Corona-Frühjahr 2020. In: Kulturmanagment. URL: https://www.kulturmanagement.net/Themen/Digitale-Museumsvermittlung-Untersuchung-der-Angebote-aus-dem-Corona-Fruehjahr-2020,4344 [Letzter Aufruf: 29.09.2021].
7 Kohle, Hubertus (2018): Museen digital. Eine Gedächtnisinstitution sucht den Anschluss an die Zukunft. Heidelberg University Publishing, S. 122.
8 Museumsbund Österreich (Hrsg.): Daniel Franz im Gespräch mit Monika Holzer-Kernbichler. Vom Realtime Learning zur Gesamtstrategie. In: neuesmuseum – die österreichische museumszeitschrift. S. 77.
9 Vogelsang, Axel/ Kummler, Barbara/ Minder, Bettina (2016): Social Media für Museen II. Der digital erweiterte Erzählraum. Ein Leitfaden zum Einstieg ins Erzählen und Entwickeln von Online-Offline-Projekten im Museum, Hochschule Luzern Design & Kunst, S. 46.
10 Scrollytelling. In: Wissenschaftskommunikation. URL: https://www.wissenschaftskommunikation.de/format/scrollytelling/ [Letzter Aufruf: 29.09.2021].
11 Vogelsang, Axel/ Kummler, Barbara/ Minder, Bettina (2016): Social Media für Museen II. Der digital erweiterte Erzählraum. Ein Leitfaden zum Einstieg ins Erzählen und Entwickeln von Online-Offline-Projekten im Museum, Hochschule Luzern Design & Kunst, S. 59.
12 Holzer, Barbara (2017): Denkräume_Ausstellen als letzte Disziplin des Co-Design. In: Holzer Kobler Architekturen. URL: https://holzerkobler.com/de/process/denkr%C3%A4ume-ausstellen-als-letzte-disziplin-des-co-design [Letzter Aufruf: 29.09.2021].
13Gries, Christian (2019): Digitale Strategien für Museen. Über Veränderungsbereitschaft und Handlungsfähigkeit. In: Iliou melathron. URL: https://blog.iliou-melathron.de/veraenderungsbereitschaft-und-handlungsfaehigkeit/ [Letzter Aufruf: 29.09.2021].
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