(Digitales) Storytelling – Mit Geschichten Kultur vermitteln

17.03.2020 Katharina Hauck

 

„München 1918. Wir kämpfen in einem aussichtslosen Krieg. Wir sterben in Schützengräben, sterben an Hunger. Ich kämpfe gegen Kriegstreiberei, gegen die Monarchie, für den Frieden. Die Leute schimpfen mich einen Pazifisten, einen Sozialisten, Intellektuellen, Juden und Träumer. Hier erzähle ich euch meine Geschichte. Eine Geschichte von Krieg und Revolution, von Freiheit und Mord, eine Geschichte aus Bayern heute vor 100 Jahren. Mein Name ist Kurt Eisner!“1
 

Er war Wortführer der Novemberrevolution und erster Ministerpräsident des Freistaats Bayern. Als überzeugter Demokrat, Pazifist und Kritiker der Monarchie war das SPD-Parteimitglied Kurt Eisner Teil der Bewegung, die zum Sturz des bayrischen Königs Ludwig III. führte. Am 8. November 1918 rief er den Freistaat Bayern aus. Am 21. Februar 1919 wurde er ermordet.

© Montage: BR/Museum Folkwang/Nachlass Germaine Krull Sammlung Hoffmann

Um die Person Kurt Eisner, seine Verdienste für den Freistaat Bayern und die deutsche Demokratie dreht sich das Messenger-Projekt „Ich, Eisner!“, das zum hundertjährigen Jubiläum der Revolution angestoßen wurde. Von Oktober 2018 bis Februar 2019 konnten Nutzer:innen der Messenger-Dienste WhatsApp und Telegram die Geschichte der Revolution live mitverfolgen. Dazu erhielten Sie täglich von Eisner persönlich verschickte Text-, Sprach- und Videonachrichten – so zumindest die Suggestion. In Wahrheit steckte hinter den Mitteilungen ein Autor:innen-Team des Bayerischen Rundfunks, das die mehr als 250 Nachrichten teils persönlich, teils mithilfe eines Messenger-Chatbots, verschickte. Und das genau zu den Zeitpunkten, an denen sich das historische Geschehen hundert Jahre zuvor ereignet hatte. Die in den Mitteilungen enthaltenen Informationen basierten auf historischen Fakten und orientieren sich an Originaltexten Eisners, die seine Situation und das Zeitgeschehen reflektierten. Der eingangs zu lesende Auszug bildete den Startschuss für das Projekt. Er sollte die Neugierde der Zuhörer:innen wecken und Lust auf weitere Nachrichten machen. Mit großem Erfolg: Mehr als 15.000 Nutzer:innen nahmen das Angebot in den fünf Monaten wahr. Eisners Geschichte zog sie in ihren Bann. Wer war diese vielschichtige Persönlichkeit? Wie erlebte er die Revolution vor 100 Jahren? Und nach jeder neuen Nachricht: Was würde er als nächstes tun?

© Unknown, CC0 by 1.0 Universal

Der Einsatz von Narrationen als Vermittlungsinstrumente, das sogenannte Storytelling, bietet für die Kulturvermittlung wertvolle Potenziale. Denn Geschichten wecken Emotionen und aktivieren mehr Regionen im Gehirn als einfache Sachinformationen. Die Verknüpfung von Fakten und (fiktionalen) Erzählungen verleiht der Information einen tieferen Sinn. Das Erzählte wird somit besser aufgenommen und länger erinnert. Um diese Effekte zu erzielen, gilt es jedoch einiges zu beachten. Am Anfang steht immer die Frage: Was soll eigentlich vermittelt werden und ist Storytelling das geeignete Instrument, um mein Vermittlungsziel zu erreichen?

Häufig werde im Kulturbereich „viel zu schnell von Storytelling“2 gesprochen, gab die Kunst- und Kulturbloggerin Angelika Schoder 2016 zu Bedenken. Dabei ist nicht jede Geschichte gleich auch Storytelling – und das ist gut so. „Der Weg ist das Ziel, es geht also darum, dem Erzählen genug Raum zu geben, sich zu entwickeln. Ein schneller Überblick, schnelle Informationen, kurze Inhalte – das alles ist im Storytelling nicht gewollt“3, so Schoder weiter. Ob das Format also für die eigenen Vermittlungszwecke geeignet sei, müsse von Fall zu Fall entschieden werden. Ist diese Entscheidung getroffen, kann ein gut strukturiertes Konzept dabei helfen, den roten Faden im Verlauf der Narration nicht zu verlieren. Daneben ist besonders die Dramaturgie von Bedeutung für den Erfolg der Geschichte. Sie gibt vor, wie sich die Protagonist:innen und die Handlungszusammenhänge entwickeln.

Messaging-Dienste sind, wie "Ich Eisner!" zeigt, prädestiniert für den Einsatz von Storytelling-Formaten. Mit ihnen lässt sich ein breites Publikum in seinem jeweiligen Alltag erreichen. Kulturelle Vermittlung ist dabei nicht mehr an einen physischen Standort und einen flüchtigen Zeitpunkt gebunden. Menschen können sich nach Bedarf und Belieben auf Informationen einlassen. Mit „Throwback89“ hat sich 2019 auch die Tagesschau an einem Storytelling-Projekt versucht. Diese Mal diente den Macher:innen die audiovisuelle Plattform Instagram als Distributionskanal: Zum 30-Jährigen Mauerfall-Jubiläum wurden Originalaufnahmen der Ereignisse vom 19. Oktober bis zum 9. November 1989 mit Instagram-Tagebucheinträgen und der Geschichte einer jungen fiktiven Erzählerin verknüpft. Die Protagonistin Nora lässt die Abonnent:innen an ihren Erlebnissen dieser Wochen in Rostock teilhaben.

Dass Geschichten aber nicht nur in eine Richtung erzähl werden können, zeigten Joe Lambert und Dana Atchley bereits Mitte der 90er Jahre mit Ihrem Konzept des Digital Storytelling. Grundgedanke des in den USA entwickelten Ansatzes ist, dass sich Interessierte mit Hilfe digitaler Bild-, Ton-, und Videogeschichten partizipativ an Kulturformaten beteiligen und so selbst Inhalte generieren können. Im Hinblick auf mehr gemeinschaftliche Zusammenarbeit plädieren Lambert und Atchley dafür, dass Kulturinstitutionen nicht nur als Vermittler von Wissen fungieren, sondern sich Offenheit für Wissensinput von Seiten der potenziellen Besucher:innen bewahren.

Storytelling im Zeitalter der Digitalisierung hält viele spannende Möglichkeiten für die Kulturvermittlung bereit. Wichtig ist es, das richtige Format und den richtigen (digitalen) Erzählraum für die eigenen Zwecke zu finden. Es bleibt spannend, welche innovativen Einsatzbereiche sich in Zukunft noch eröffnen werden.

Zum Abschluss lassen wir noch einmal Kurt Eisner sprechen. Welche Visionen er wohl für die Zukunft parat hätte...?

 

„Ich schicke dir noch eine letzte persönliche Sprachnachricht. 'Ich, Eisner!' ist hiermit beendet. Ich hoffe sehr, dass du in den gemeinsamen letzten Monaten, Neues und Wissenswertes über das Bayern vor hundert Jahren erfahren konntest. Und ich wünsche dir viel Kraft und Erfolg bei deinem ganz persönlichen Kampf für Freiheit, Frieden und Demokratie in Deutschland und Europa. Hochachtungsvoll, Kurt Eisner.“4

 


 

1 Deinert, Eva/ Köbnik, Markus/ Leitner, Matthias, u.a. (2018): Ich, Eisner! [Messenger-Projekt] Bayerischer Rundfunk u.a., Verfügbar unter: https://www.br.de/extra/themen-highlights/kurt-eisner-revolution-bayern-whatsapp-100.html (letzter Zugriff 17.03. 2020, 08:53 Uhr).

2 Schoder, Angelika (2016): 9 Alternativen zum Storytelling im Kulturbereich. Verfügbar unter: https://musermeku.org/storytelling-im-kulturbereich/ (letzter Zugriff 17.03. 2020, 08:53 Uhr).

3Schoder, Angelika (2016): 9 Alternativen zum Storytelling im Kulturbereich. Verfügbar unter: https://musermeku.org/storytelling-im-kulturbereich/ (letzter Zugriff 17.03. 2020, 08:53 Uhr).

4Deinert, Eva/ Köbnik, Markus/ Leitner, Matthias, u.a. (2018): Ich, Eisner! [Messenger-Projekt] Bayerischer Rundfunk u.a., Verfügbar unter: https://www.br.de/extra/themen-highlights/kurt-eisner-revolution-bayern-whatsapp-100.html (letzter Zugriff 17.03. 2020, 08:53 Uhr).