Digitalisierung von Kulturgut – Chancen, Möglichkeiten & Herausforderungen

08.10.2020 Katharina Hauck

© Fabien Bièvre-Perrin, CC by-sa 4.0

Digitalisierung und Kulturgut

Schon seit Beginn der 2000er Jahre wird über das Für und Wider digitaler Objektdokumentation diskutiert. Ein entscheidendes Argument der Befürworter:innen bleibt die Tatsache, dass sich Exponate durch ihre Digitalisierung unabhängig von Raum und Zeit zugänglich machen und erhalten lassen. Besonders 3D-Digitalisate, häufig von eindrucksvoller Qualität, lassen eine eingehende Betrachtung und Erforschung von Kulturgut zu, ohne dass die Betrachter:innen zwingend vor Ort sein müssen. Zudem erleichtern die nicht mehr standortgebundenen digitalisierten Objekte den (Forschungs-)Austausch. Gerade das Bündeln unterschiedlicher Digitalisate an zentraler Stelle bietet der Forschung völlig neue Möglichkeiten. Einen besonderen Mehrwert haben Digitalisate vor allem dort, wo die Originalobjekte schwer, nicht oder nicht mehr zugänglich sind. Dieser Aspekt ist auch im Hinblick auf die Teilhabe der Bevölkerung am kulturellen Leben nicht zu unterschätzen, denn durch die Digitalisierung wird der barrierefreie Zugang zu Kulturgut wesentlich befördert.2

In den meisten Fällen sollen digitale Exponate einen Besuch vor Ort nicht ersetzen, sondern bestenfalls ergänzen. Die unmittelbare Wirkung, die das Original auf die Besucher:innen hat - die Aura des Objekts - bleibt eben doch einzigartig. Da die Digitalisierung von Kulturgut dennoch wesentliche Vorteile mit sich bringt, stellen wir Ihnen in diesem Artikel Projekte vor, die sich dem Auftrag verschrieben haben, Kulturgüter digital verfügbar zu machen. Wie Institutionen sich an diesen Projekten beteiligen und – ebenso wie die Nutzer:innen – von den digitalen Datenbanken profitieren können, erfahren Sie hier.

 

Die Deutsche Digitale Bibliothek

Im Sommer 2007 startete die Deutsche Digitale Bibliothek (DDB) als nationales Großprojekt mit dem Ziel, digitalisierte Exponate unterschiedlicher Kulturinstitutionen auf einer gemeinsamen Plattform zu bündeln. Im Rahmen des Portals können Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen ihre Exponate dokumentieren, einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen und sich untereinander vernetzen. Seit 2012 ist die erste Version der DDB im Netz verfügbar. Die hier archivierten Objekte reichen von historischen Gegenständen über Gemälde und Bücher bis hin zu digitalen Foto- und Filmbeständen. Aktuell beinhaltet das Portal 34 Millionen digitalisierte Objekte, Tendenz steigend. In den nächsten Jahren soll das Angebot zudem um das Deutsche Zeitungsportal erweitert werden, sodass sich zusätzlich historische Zeitungsartikel durchstöbern lassen.

Einrichtungen, die an einer Aufnahme ihrer Bestände in die DDB interessiert sind, müssen sich zunächst registrieren. Im Anschluss wird ein Kooperationsvertrag geschlossen, über einen Online-Fragebogen werden erste Informationen über die einzustellenden Daten ausgetauscht. Die Lieferformate für Daten und Metadaten sind standardisiert. Das Prozedere setzt natürlich eine gewisse Vorarbeit in den Institutionen voraus: Bestände müssen erfasst, dokumentiert und digitalisiert, sowie mit den entsprechenden Metadaten versehen werden, bevor sie an die DDB weitergegeben werden können. Die Nutzung der Seite ist dann jedoch, sowohl für Institutionen als auch für auswärtige Nutzer:innen, kostenfrei möglich. Mit unterschiedlichen Suchfiltern kann in der DDB sehr spezifisch recherchiert werden. Objekte werden mit allen nötigen Metadaten, Hintergrundinformationen, Urheber- bzw. Verwendungsrechten, Datengeber-Institutionen sowie Verlinkungen zu externen, inhaltlich ergänzenden Websites angezeigt. Schließlich lassen sich einzelne Objekte sogar auf bestimmte Spezifika hin miteinander vergleichen (Dokumenttyp, Standort, Provenienz, etc.). Ein Highlight der DDB ist außerdem das Tool DDBstudio, mit dem Kultureinrichtungen virtuelle Ausstellungen zu ihren Digitalisaten erstellen und auf der Plattform zugänglich machen können. Dabei lassen sich unterschiedliche Objekttypen miteinander kombinieren und in eine multimediale Schau überführen. Die Ausstellung Regen auf dem Schirm der DDB integriert beispielsweise neben Digitalisaten von Gemälden oder Objekten auch Videos, Tonspuren oder Gedichte bekannter Schriftsteller:innen in ihre virtuelle Ausstellung und zeichnet so eine faszinierende Dokumentation rund um das Phänomen Regen.

© Jtredden, CC by-sa 4.0


Mehrwert für Kultureinrichtungen

Über 2000 Institutionen sind bereits bei der DDB registriert. Durch die kostenfreien Kooperationen profitieren die Kulturinstitutionen von einer erhöhten Sichtbarkeit und den Vernetzungsmöglichkeiten untereinander. Darüber hinaus behalten die Einrichtungen auch nach der Bereitstellung des Datenmaterials in der DDB die Verfügungsgewalt über ihre Digitalisate und können entscheiden, ob diese an andere Portale (wie z.B. die Europeana, s. unten) weitergegeben werden sollen. Wenngleich die Aufgabe der Digitalisierung des eigenen Bestandes – vor allem für kleinere Häuser – einem Mammutprojekt gleicht, lohnt sich der Aufwand. Dabei ist ein sukzessives Vorgehen besser als keines: Wer zunächst nur einige wenige herausragende Exponate in die Datenbank der DDB einpflegen möchte, kann dies problemlos tun und den Bestand nach und nach erweitern. Für Häuser, die aus unterschiedlichen Gründen keine eigene Online-Sammlung anlegen möchten, bietet die DDB somit eine niedrigschwellige Möglichkeit, Objekte kostenfrei und mit großer Außenwirkung online zu präsentierten. 

 

Europeana

Was die DDB auf nationaler Ebene für Deutschland leistet, führt das Online-Portal Europeana  seit November 2008 auf europäischer Ebene aus. Mehr als 50 Millionen Objekte sind dort in digitalisierter Form zu finden. Auch hier stehen die erleichterte Zugänglichkeit und Barrierefreiheit, sowie das Bündeln des europäischen Kulturguts innerhalb eines zentralen Portals im Vordergrund. Die DDB bietet eine automatische Weiterleitung ihrer Datensätze an die Europeana an, sofern die Metadaten der eingestellten Objekte eine CC0 Lizenz3 besitzen. In anderen europäischen Ländern gibt es bereits ähnliche Projekte (z.B. das tschechische Portal eSBÍRKY). Die Europeana wählt einen etwas anderen Zugang als die DDB: Neben spezifischen Suchfiltern für eine gezielte Recherche lassen sich zusätzlich verschiedene thematische Sammlungen erkunden, welche Exponate aus dem Gesamttopf der vorhandenen europäischen Digitalisate enthalten. So lässt sich unter dem Filter Women‘s history bspw. die Ausstellung Pionierinnen einsehen, welche die Europeana in Zusammenarbeit mit Mariya Gabriel, der europäischen Komissarin für digitale Wirtschaft und Gesellschaft, geschaffen hat. Neben Ausstellungen, lassen sich auf der Startseite des Online-Portals Themenbereiche finden, welche zum jeweiligen Thema passende Digitalisate aus ganz Europa bündeln, sodass auch ohne Suchfunktion recherchiert werden kann. So finden sich europäische Objekte zu Migration, Photography oder Natural history, zusammengestellt von Mitarbeiter:innen der Plattform. Zudem gibt es noch einen extra Reiter zur eigenständigen Wissensaneignung bzw. Nutzung für den Schulunterricht, sowie das Tool „Transcribathon“, über welches Besucher:innen der Plattform selbst aktiv werden und Dokumente der Europeana Sammlungen transkribieren können.  

 

Weitere Digitalisierungsprojekte

Die DDB ist deutschlandweit nicht das einzige Digitalisierungsprojekt, in dem es darum geht, Kulturgut online zugänglich zu machen. Für Museen stellt die Plattform Museum digital eine eigene zentrale Anlaufstelle dar. Mit spezifischen Ablegern für jedes Bundesland können dort neben den digitalisierten Objekten auch Informationen über gegenwärtig laufende analoge Museumsausstellungen eingeholt werden Viele Museen bringen den Stein mittlerweile aber auch eigenständig Steine ins Rollen: Das Deutsche Museum in München hat einen komplett eigenen virtuellen Bereich konzipiert – das Deutsche Museum Digital. Hier können Digitalisate der Objektsammlung, des Archivs oder der Bibliothek des Museums durchstöbert werden. Das Museum der bayerischen Landeshauptstadt will damit die Ergebnisse des Digitalisierungs- und Erschließungsprozess der eigenen Bestände der Öffentlichkeit und Forschung über einen museumseigenen Zugang zur Verfügung stellen. Auch in der Region Westfalen-Lippe gibt es gute Beispiele für den fortschreitenden Digitalisierungsprozess innerhalb von Kulturinstitutionen. So stellt das LWL-Museum für Kunst und Kultur auf der eigenen Website Digitalisate seiner Sammlungen mit Hintergrundinformationen zur Verfügung, ist aber zugleich mit seinen Digitalisaten auch in der DDB vertreten. Ein weiteres vielversprechendes Projekt plant die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen: Bis zum Frühjahr 2021 sollen die Exponate und Archivalien von Heimatsammlungen digitalisiert und als virtuelle Sammlungen im Netz über eine zentrale Website zur Verfügung gestellt werden. Die Digitalisierung von Kulturgut ist eine fortwährende Aufgabe. Eine Aufgabe, der sich in unterschiedlichen Kontexten bisher mehr oder weniger intensiv gewidmet wurde.  Fest steht: Um Kulturgut zukunftssicher zu bewahren und für ein breites Publikum – Wissenschaftler:innen wie Laien – zugänglich zu machen, bietet die digitale Technik bereits heute umfassende Möglichkeiten. Von hier aus wiederum eröffnet sich die Chance, mit den digitalen Daten weiterzuarbeiten, sie für Forschungs-, Bildungs-, und Vermittlungszwecke zu nutzen und damit völlig neue Zugänge zu Kultur zu schaffen.  Wohin uns diese Entwicklung tragen wird, ist aktuell nicht absehbar. Herausfinden können wir dies nur, wenn wir uns vor neuen Wegen nicht verschlissene. Stattdessen lautet das Credo: Ausprobieren und das gebotene Experimentierfeld dankbar nutzen.

 

 

 

1Bei Digitalisaten kann es sich um digitalisierte Daten analoger Exponate, wie Bücher, Archivalien, Gemälde oder Skulpturen, sowie bereits digital erzeugte Daten, wie Tondokumente, Fotos oder Filmmaterial handeln.
 

2Vgl. hierzu unseren Artikel Interaktion, Partizipation, Kollaboration – Irrungen, (Ver)Wirrungen.


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