Kulturbrunch 2019 – Ein Format mit Potenzial

07.10.2019 Laura-Marie Krampe

Phillina Zuther © LWL-Medienzentrum für Westfalen

Mit dem Projekt Kultur bewegt, das seit dem 01.09.2018 am LWL-Medienzentrum für Westfalen angesiedelt ist, sollen Kultureinrichtungen in der Region Westfalen-Lippe auf ihrem Weg in die Digitalisierung begleitet werden. Der Kulturbrunch im Januar 2019 diente als Auftakt der zweijährigen Projektphase und verfolgte die Absicht, das Projekt unter den Kulturschaffenden bekannt zu machen, den Austausch und die Vernetzung zu fördern, Bedarfe zu erfragen und Lust auf die Möglichkeiten medialer Kulturvermittlung zu machen. Unter dem Hashtag kulturbewegt konnten die Teilnehmer:innen ganztägig über die Veranstaltung berichten.

Um Raum für Wünsche, Erwartungen, Hoffnungen und Befürchtungen zu lassen, wurde bereits im Vorfeld der Veranstaltung eine digitale Pinnwand angelegt, auf der die Teilnehmer:innen ihre Fragen „anheften“ konnten. Einige dieser Fragen, wurden im Verlauf des Tages durch die Vorträge der Referent:innen indirekt mitbeantworten. Andere blieben zunächst offen und flossen in die Diskussion ein.

Laura-Marie Krampe © LWL-Medienzentrum für Westfalen

Innovative Kulturvermittlung: Was ist das?

Zunächst aber galt es, sich darüber zu verständigen, was innovative Kulturvermittlung im digitalen Zeitalter eigentlich bedeutet. Wodurch kennzeichnen sich sinnvolle mediale Vermittlungsformate? Welche Vorteile bietet der Einsatz digitaler Medien für die kulturelle Vermittlungsarbeit? Und wie verändert sich der Auftrag von Kultureinrichtungen im Angesicht der digitalen Transformation? Eine Einschätzung aus Projektsicht:

 

 

1. Zielgruppen ansprechen

Seit jeher ist es Anspruch und Auftrag von Kulturinstitutionen, Inhalte so aufzubereiten, dass sie einem möglichst breiten Zielpublikum zugänglich werden. Im digitalen Zeitalter kleidet sich dieser Auftrag in ein neues Gewand. Mehr denn je stehen heute auch die Vermittlungskanäle auf dem Prüfstand. Der Umgang mit digitalen Medien erfordert, besonders vor dem Hintergrund ihrer Schnelllebigkeit, Kompetenzen, die sich ein Großteil der Menschen zunächst mühevoll aneignen muss. Um die Potenziale digitaler Vermittlungsformate voll ausschöpfen zu können, müssen Kulturvermittler:innen zunächst ausloten, welche Medien für welche Zielgruppe handhabbar sind. Bevor die eigentliche Vermittlungsarbeit beginnen kann, gilt es im Zweifel, Berührungsängste abzubauen und die nötigen Kompetenzen im Umgang mit den „neuen“ Medien an die Besucher:innen weiterzugeben. Wenn das gelingt, eröffnen sich für die zielgruppengerechte Vermittlungsarbeit völlig neue Möglichkeiten.

Der Vorteil des Einsatzes digitaler Medien in der Kulturvermittlung besteht vor allem darin, dass sich mit ihrer Hilfe passgenau Formate für sehr unterschiedliche Bedürfnisse entwickeln lassen. So öffnen sich unter anderem Wege zu jüngeren, medienaffinen („Digital Natives“) und bisher wenig an klassischer Kultur interessierten Personen. Ebenso können digitale Instrumente dabei helfen, Menschen mit Beeinträchtigungen und marginalisierte soziale Gruppen auf Kulturangebote aufmerksam zu machen und ihnen neue Formen des Kulturerlebens zu zeigen.

2. Partizipation ermöglichen

Kultur existiert nicht einfach, sondern wird im Alltag immer wieder neu ausgehandelt. Sie entsteht durch die Beteiligung Vieler. Daher ist es nur logisch, dass Partizipation auch in der Kulturvermittlung eine wichtige Rolle spielen sollte. In sogenannten „Vermittlungslaboren“ wie dem „lab.Bode“ auf der Berliner Museumsinsel wird dieses Prinzip bereits gelebt. Hier werden „Gemeinsam mit […] Schüler:innen und Lehrer:innen […]  über vier Jahre hinweg verschiedene Vermittlungsansätze [entwickelt und erprobt]. Im Museum wird recherchiert, ausprobiert, experimentiert, hinterfragt und kommentiert.“  Werden Besucher:innen auf dieses Weise in die Entwicklung von Inhalten und Formaten miteinbezogen, eröffnen sich ihnen häufig völlig neue Zugänge zu Kultur. Dann wird sie als das wahrgenommen, was sie eigentlich ist: etwas Menschgemachtes, etwas Gestaltbares, das allen gleichermaßen gehört.Durch den Einsatz digitaler Medien kann Besucher:innenpartizipation ohne großen Mehraufwand zielgerichtet erfolgen. User Generated Content (von der Zielgruppe selbst erstellte Inhalte) und Service Designs (an den Bedürfnissen der Zielgruppe ausgerichtete und unter deren Mitwirkungen entstanden Formate) lassen sich im virtuellen Raum leichter realisieren und koordinieren. Die Bereitstellung offener Kulturdaten (Open Data) ermöglicht es Jeder und Jedem, nicht nur passiv an Kultur teilzuhaben, sondern aktiv an ihr teilzunehmen, sie zu gestalten und weiterzudenken. Davon wiederum profitieren Kultureinrichtungen und -interessierte gleichermaßen. Darüber hinaus eröffnen neue Kommunikationskanäle die Chance, kulturelle Bildung gezielt in den Alltag der Menschen zu integrieren, in Bezug zu deren Lebenswelt zu setzen und so das Interesse an Selbstbeteiligung zu erhöhen.

3. Transparenz schaffen

Damit Rezipient:innen gestalterisch an der Genese von Kultur mitwirken können, bedarf es einer erhöhten Transparenz. Wer nicht versteht, was Kultur ist und wie sie entsteht, wie Prozesse angestoßen, Abläufe gestaltet und Entscheidungen gefällt werden, für den besteht kaum die Möglichkeit der Mitwirkung. Die Öffnung der Kulturbetriebe in Richtung ihrer Besucher:innen bedeutet in ihrer Konsequenz, dass sich auch das Selbstverständnis der Institutionen ändern muss. Die Zeiten der Elfenbeintürme, in denen Kultureinrichtungen als von der Außenwelt abgeschottete Expertenräume galten, ist längt vorbei. Heute sollten sie vielmehr zu Alltagsräumen werden, in denen sich Menschen bewegen und die von ihnen mitgestaltet werden. Dieser Forderung können Kulturinstitutionen im digitalen Zeitalter leicht nachkommen, sofern sie bereit sind, sich in den virtuellen Raum zu öffnen, um ihr Wissen und ihre Erkenntnisse zu teilen.

4. Anschlussfähigkeit gewährleisten

Innovative Kulturvermittlung denkt über sich selbst hinaus. So gehen aus ihr Formate hervor, die erweiterbar und übertragbar sind, die abgewandelt und für unterschiedliche Kontexte und Zielgruppen angepasst werden können. Diese Formate müssen selbstbestimmtes Lernen fördern – ein Lernen, bei dem die Lernenden über das was, wie, wann und wo entscheiden können.Digitale Technologien bieten dabei die Chance, Kulturschätze zeit- und ortsunabhängig verfügbar zu machen. Öffnungszeiten und räumliche Begrenzungen durch Museumsmauern spielen dann keine Rolle mehr, Inhalte können jederzeit und überall rezipiert, weitergenutzt und -entwickelt werden. Dieser kreative Prozess sollte nicht verhindert oder eingeschränkt, sondern von Kultureinrichtungen bedingungslos unterstützt werden.

Laura-Marie Krampe © LWL-Medienzentrum für Westfalen

Keynote

In der sich anschließenden Keynote sprach Dr. Christian Gries „von Besuchern in neuen Räumen“ und „der Rolle der Vermittlung in digitalen Strategien für Museen“. Anhand von Statistiken verwies er zunächst auf die rasante Geschwindigkeit, in der die digitale Transformation in den letzten Jahren vorangeschritten sei. Demnach seien im Jahr 2018 weltweit 1,9 Milliarden Websites und 63 Millionen Internet-User:innen verzeichnet worden, von denen 54 Millionen täglich die Angebote des World Wide Web nutzten. In Deutschland hätten im vergangenen Jahr 90% der Jugendlichen ab 14 Jahren zu den sogenannten „Onlinern“ gehört – und das mit einer durchschnittlichen Nutzungsdauer von 353 Minuten pro Tag. Nutzungszwecke und -Geräte würden dabei, abhängig von Faktoren wie Alter, Ort und Tageszeit, variieren. Ein Blick auf die beliebtesten Apps zeige jedoch, dass vor allem Messaging- und Networking-Anwendungen bei den User:innen aller Altersgruppen hoch im Kurs stünden.

Um in Zukunft adäquat auf die veränderten gesellschaftlichen Gewohnheiten und Bedürfnisse reagieren zu können, so Gries weiter, benötigten Kulturbetriebe Digitale Strategien. Mit Hilfe solcher Strategien könnten Einrichtungen die Transformation ihrer Arbeitsbereiche strukturiert angehen und Kompetenzen, Ressourcen und Infrastrukturen den neuen Bedarfen anpassen.

Zu diesen Bedarfen würden unter anderem auch digitale Vermittlungsangebote gehören. Hier machte Gries noch einmal auf den Unterschied zwischen digitaler Vermittlung und Vermittlung im digitalen Raum aufmerksam. Mit dem einen würde Vermittlungsarbeit durch die Zuhilfenahme digitaler Werkzeuge vereinfacht und unterstützt, das andere verweise auf die Möglichkeit, Vermittlung direkt und ausschließlich im digitalen Raum stattfinden zu lassen – zum Beispiel über Social Media-Plattformen. Als gelungenes Beispiel für Vermittlung im digitalen Raum nannte Gries das Projekt „Ich, Eisner“, in dem die Abonnent:innen über den Messeger-Dienst Whatsapp in Form von Texten, Fotos und Videos in Echtzeit an den Geschehnissen der Revolution von 1918/1919 teilnehmen konnten. 

Zum Schluss mahnte Gries, bei aller Euphorie über die neuen Möglichkeiten dürfe nicht aus dem Blick geraten, dass auch digitale Werkzeuge letztlich nur Werkzeuge seien. Sie sollten analoge Angebote dort ergänzen, wo sie einen Mehrwert für die Vermittlungsarbeit bieten könnten. Dabei sei es besonders wichtig, digitale (ebenso wie analoge) Angebote immer auf das Zielpublikum abzustimmen. Im Idealfall würde den Besucher:innen so ein ganzheitliches Erlebnis ermöglicht, das nicht an den Museumstüren ende. 

 

Best Practice: Erfolgreiche Formate aus der Region

Social Media

Phillina Zuther © LWL-Medienzentrum für Westfalen

Dr. Ralf Blank und Andreas Korthals aus dem Stadtarchiv Hagen läuteten im Anschluss die erste von zwei Good Practice-Vorstellungsrunden ein. Sie präsentierten den erfolgreichen Facebook Auftritt „Hagener Stadtgeschichte“ mit fast 11.000 Abonnent:innen. Recht schnell wurde deutlich, dass dieser Social Media-Erfolg vor allem dem persönlichen Engagement und den zahlreichen Überstunden der beiden Referenten zu verdanken ist – denn Social Media Management ist (eigentlich) ein Vollzeitjob, der nicht nur viel Arbeitszeit, sondern auch Strategie und Sorgfalt erfordert. So werten Blank und Kothals ihre Abonnent:innen unter anderem anhand von Statistiken aus, um ein zielgruppengerechtes Angebot zu erstellen, orientieren sich bei der Auswahl ihrer Archivstücke an aktuellen Debatten, Gedenk- und Feiertage und beantworten online gestellte Fragen mit Hilfe der Kommentarfunktionen auf Facebook. Damit leistet das Stadtarchiv Hagen nicht nur einen Beitrag zum gesellschaftlichen und politischen Diskurs, sondern öffnet sich auch virtuell für ein interessiertes Publikum, wenn zum Beispiel Archivgüter gezeigt und kontextualisiert werden, die sonst nur selten an die Öffentlichkeit gelangen. Im Mittelpunkt, so Blank und Korthals, stehe dabei immer der Anspruch, Geschichte(n) zu vermitteln. Am Beispiel des Stadtarchivs Hagen wurde deutlich, dass sich Social Media, richtig eingesetzt, nicht nur für Marketing-, sondern auch für Vermittlungszwecke nutzen lässt.

Virtual Reality

Dr. Jochen Grywatsch von der LWL-Literaturkommission für Westfalen erläuterte im Anschluss, wie die Gedichte und Geschichten der Schriftstellerin Annette von Droste-Hülshoff in der Sonderausstellung „Sehnsucht in die Ferne. Reisen mit Annette von Droste-Hülshoff“ zum Leben erweckt werden. Die prämierte Ausstellung setze dabei auf ein ausgefeiltes Ausstellungsdesign, in dem sich die Präsentationsform stark an den Inhalten orientiere. Besonderes Augenmerk legte Grywatsch auf eine Installation, die es Besucher:innen ermöglicht, die Werke der Autorin multisensorisch zu erleben. Über diese berichten wir in einem gesonderten Beitrag mehr.

Katarzyna Salski © Porta Polonica

Partizipative Formate

Katarzyna Salski und Andrea Lorenz von der Dokumentationsstelle Porta Polonica stellten das Projekt „Polnische Spuren in Bochum“ („PLinBo“) vor, das mit seinem kooperativen Ansatz Schüler:innen und Studierende aus Bochum zusammenbringt. Als Ergebnis dieser Kooperation soll eine App entstehen, mit deren Hilfe polnische Spuren im Stadtbild Bochums sichtbar gemacht werden können. Der dreisprachige digitale Stadtführer werde mit multimedialen Inhalten bestückt, die als „User Generated Content“ von den Entwicklern selbst erstellt werden sollen. Dabei fördere der Einbezug der Schüler:innen nicht nur deren Medienkompetenzen; die Mitarbeit an dem Projekt lasse sich durch die thematische Anknüpfung an die Kernlehrpläne des Landes auch ohne weiteres in den Unterricht integrieren („Fremdsein, Vielfalt und Integration – Migration am Beispiel des Ruhrgebiets“ des Lehrplans NRW für die Einführungsphase Geschichte Sek II). Dass mit dem partizipativen Projekt auch besondere Herausforderungen, zum Beispiel hinsichtlich der Finanzierung, Qualitätssicherung und Nachhaltigkeit, verbunden seien, verschwiegen die Referenten:innen nicht. Doch sie betonten auch, es handele sich um ein Experimentierfeld mit keinem Anspruch auf Geling-Garantie.

Multimediale Ausstellungen

Regina Göschl und Dr. Julia Paulus vom Institut für westfälische Regionalgeschichte berichteten in ihrem Vortrag von der multimedialen Wanderausstellung „Weimar im Westen. Republik der Gegensätze“. Ziel der Ausstellung sei es, so die Referentinnen, die Chancen der Weimarer Republik und die Gründe für ihr Scheitern aufzuzeigen, sowie einen Überblick über politische, soziale, kulturelle und wirtschaftliche Entwicklungen mit Fokus auf Westfalen und das Rheinland zu geben. Hierzu seien vier „Kinowürfel“ mit jeweils vier Medienstationen entwickelt worden, in denen regionale (Würfel 1-3) und gesamtstaatliche (Würfel 4) Perspektiven anhand von historischen Fotografien, historischen Filmaufnahmen, Zeitzeug:innen- und Expert:innen-Interviews in den Blick gerückt würden. Darüber hinaus werden auf der zugehörigen Website vertiefende und ergänzende multimediale Inhalte zur Verfügung gestellt. Diese virtuelle Erweiterung ermöglicht es Besucher:innen wie Nicht-Besucher:innen, die Ausstellung auch über den physischen Raum hinaus zu erleben.

 

Unser Fazit

Nach den vielen spannenden Eindrücken und informativen Vorträgen lautete unser Fazit: Kulturbrunch verstetigen! Der Tag hat allen Beteiligten viel Freude bereitet und gezeigt, dass der Bedarf nach Austausch und Vernetzung groß ist. Den Herausforderungen des digitalen Zeitalters wollen sich die Kulturschaffenden in der Region auch künftig gemeinsam stellen. Wir freuen uns auf spannende Kooperationen und innovative Projekte.

 

Am 31.01.2020 geht der Kulturbrunch in die zweite Runde.