Gaming im Museum – Interview mit den Good-Practicern des Kulturbrunchs Part 1/2

12.08.2022 Katharina Hauck

Dominik Kissmann stellt das Projekt "Nehab One" beim Kulturbrunch 2022 vor. Lisa Wong wurde per Zoom zugeschaltet. Emad Daood © LWL-Medienzentrum für Westfalen

In unserem Kurzinterview-Artikel blicken wir auf den Kulturbrunch 2022 zurück. Dafür haben wir die Referent:innen unserer Good Practice-Projekte gebeten, uns bei der Veranstaltung im Mai offen gebliebene Fragen zu beantworten. Lisa Wong vom LWL-Museum für Naturkunde Münster, Anna Riethus aus dem Neanderthal Museum Mettmann, Dr. Paul-Moritz Rabe vom NS-Dokumentationszentrum München und Anja Hoffmann aus dem LWL-Industriemuseum Dortmund  geben Einblicke in ihre spielerischen Vermittlungsformate. Den zweiten Teil unserer Interviewreihe finden Sie hier.

Dominik Kissmann beim Kulturbrunch 2022. Emad Daood © LWL-Medienzentrum für Westfalen

Nehab One – Virtuelle Reise auf eine Marsstation

„Nehab One” ist ein Virtual Reality-Projekt des LWL-Museums für Naturkunde Münster, das gemeinsam mit lemontree.xyz entwickelt und umgesetzt wurde. Die Spieler:innen begeben sich auf eine virtuelle Reise zur gleichnamigen  Marsstation in einer fernen Zukunft. Während der Mission auf dem roten Planeten schlüpfen sie in die Rolle des Astronauten Juri, der einen Kontrollgang durch die Station durchführen muss, bevor sein Sauerstoffvorrat aufgebraucht ist. Dabei lernen Sie aus seiner Perspektive die Bestandteile der Marsstation und damit moderne Technik der Raumfahrt kennen. Unsere Interviewpartnerin ist Lisa Wong vom LWL-Museum für Naturkunde.

  • War ein Virtual Reality-Format für das LWL-Museum für Naturkunde komplett neues Terrain oder kannten Sie sich bereits damit aus? Wie hat sich durch Nehab One Ihre Perspektive auf Virtual Reality verändert?

Lisa Wong: VR war für das Museum neu. Wir hatten bis dato keine Erfahrungen mit der Technik im Ausstellungsbetrieb. Als wir das Projekt angestoßen haben, hatten wir keine speziellen Erwartungen an die VR, vielmehr wollten wir die Technik gerne ausprobieren, weil wir ein passendes Thema dafür hatten. Unsere Perspektive hat sich daher nicht geändert, sondern durch die erste Erfahrung haben wir eine Perspektive entwickelt.

  • In Nehab One schlüpfen Spieler:innen in die Rolle des Astronauten Juri und bewegen sich durch eine virtuelle  Marsstation. Welches Learning, welche Message sollte das Spiel den Spieler:innen konkret mitgeben?

Lisa Wong: Die VR-Station markierte das Ende der Sonderausstellung „Überlebenskünstler Mensch“. In diesem Teil beschäftigte sich die Ausstellung mit der Frage, ob zukünftig Menschen auf dem Mars leben werden und wie eine bewohnte Marsstation aussehen könnte. Konkrete Überlegungen dazu existieren in der Raumfahrt und sind keine Spinnerei. Unser Anspruch an die virtuelle Marsstation war daher, diese nach dem aktuellen Wissensstand möglichst realistisch abzubilden und auf die Probleme, wie Wasserversorgung und Ernährungssicherung, sowohl aufmerksam zu machen, als auch Lösungsansätze zu vermitteln. Die spielerischen Elemente wurden hinzugefügt, um einen Anreiz zum Erkunden der Marsstation zu schaffen und gleichzeig die Anwendung zeitlich zu limitieren.

  • Was würden Sie anderen Museen raten, die erwägen, virtuelle Tools in ihre Ausstellung einzubinden? Was muss bei der Konzeption von Museumsseite bedacht werden?

Lisa Wong: Unser Anspruch an die VR-Anwendung war, dass sie kein Exponat ersetzt, sondern wir damit Inhalte vermitteln, die anders nur sehr schwer oder gar nicht vermittelbar sind. Diese grundsätzliche Überlegung würden wir empfehlen, bevor über eine Einbindung von VR oder anderen Tools entschieden wird. Bei der Konzeption einer VR-Station sollte vor allem bedacht werden, dass die Anwendung zeitlich begrenzt wird, da sie nur von einer Person genutzt werden kann und je nach Besucheraufkommen und Beliebtheit der Station ansonsten lange Wartezeiten entstehen.

  • Wie hoch ist der konkrete Wartungsaufwand der VR-Technologie und fallen dafür zusätzliche langfristige Kosten für das Museum an? Zum Beispiel erhöhte Personalkosten?

Lisa Wong: Bei der Auswahl der Brillen und der Rechner haben wir großen Wert auf Qualität und Stabilität gelegt. Die Rechner hatten eine hohe Rechenleistung und eine besonders gute Grafikkarte, zusätzlich wurden sie mit extra angefertigten Gehäusen geliefert. Die Anschaffungskosten waren entsprechend höher, jedoch zahlte sich die Investition aus, da wir in der Nutzung so gut wie keine Wartungskosten hatten. Die Brillen müssen bei häufiger Benutzung irgendwann ersetzt werden. Dies ist jedoch ein normaler Verschleiß, der einkalkuliert werden sollte, wenn die VR z.B. für eine Dauerausstellung geplant wird. Für die Betreuung der VR-Station wurde eine zusätzliche Aufsicht eingeteilt. Die Aufsicht stellte die Desinfektion der Brillen und Controller nach jeder Nutzung sicher, wies die Besuchenden in die Nutzung ein und leistete Hilfestellung, falls nötig. 

  • Halten Sie VR für zukunftsweisend oder eher für ein punktuelles Add-On bzw. Nice-to-have? Meinen Sie, VR wird sich im Kulturbereich durchsetzen?

Lisa Wong: Die Einbindung von VR sollte nur da geschehen, wo sie wirklich eine sinnvolle Erweiterung darstellt, also Einblicke in Räume, Zeiten oder Vorgänge ermöglichen, die ansonsten nicht erfahrbar sind. So eingesetzt hat sie einen echten Vermittlungswert und ist kein reines Add-On. Ich persönlich bin nicht der Meinung, dass sich VR im Kulturbereich flächendeckend durchsetzen wird, da die Begegnung mit dem Original nicht zu ersetzen ist und es genügend spannende Exponate in den vielfältigen Sammlungen der Museen gibt. Die Begegnung mit dem Original kann an keinem anderen Ort als in Museen gemacht werden und sollte das Alleinstellungsmerkmal der Museen bleiben.
 

Thorsten Unger von wegesrand stellt das Projekt "NMSee" vor. Anna Riethus war krankheitsbedingt leider nicht vor Ort. Emad Daood © LWL-Medienzentrum für Westfalen

NMSee – Audio-Mobile-Game als inklusiver Museumsrundgang

„NMSee“ ist ein inklusives Audio-Mobile-Game des Neanderthal Museums Mettmann, das in Kooperation mit dem Spieleentwicklerunternehmen wegesrand entstand. Die App soll es sehbehinderten Menschen ermöglichen, die Ausstellung des Museums eigenständig zu erfahren. Die Spielhandlung dreht sich um eine Jägerin, die mit ihrem Sohn in der Eiszeit gelebt hat. Anhand ihrer Erinnerungen, die auditiv vermittelt werden, und der Taststationen in der Ausstellung, erleben die Spieler:innen eine Reise durch die Eiszeit. Im Interview beantwortet Anna Riethus vom Neanderthal Museum unsere Fragen.

Tamara Ströter vom Blinden- und Sehbehindertenverein für den Kreis Mettmann hat maßgeblich zur Entwicklung von "NMSee" beigetragen. Emad Daood © LWL-Medienzentrum für Westfalen
  • Mit NMsee hat das Neanderthal Museum ein inklusives Vermittlungsformat entwickelt. Inwiefern können digitale Tools Museen inklusiver gestalten und eine selbstbestimmte Ausstellungserfahrung für behinderte Menschen fördern?

Anna Riethus: Digitale Angebote sind meist flexibel und passen sich an die Bedürfnisse ihrer Nutzer:innen an. Viele digitale Medien beinhalten außerdem bereits barrierefreie Features oder sind sogar inklusiv gestaltet. Wenn wir unsere Inhalte über solche anpassungsfähigen Medien vermitteln, können alle Gäste – auch jene mit Behinderung - leichter und selbstbestimmter unser Kulturangebot nutzen.

  • Welche Potentiale bietet NMsee, die das Museum in rein analogen Formaten nicht hätte umsetzen können?

Anna Riethus: Unser inklusiver Rundgang bietet dank dem digitalen Format eine Unmenge an inhaltlichen und organisatorischen Informationen, aus denen Nutzer:innen je nach Bedarf wählen können. So kann der Besuch mit einem einzigen Format leicht auf die aktuellen Bedürfnisse abgestimmt werden. Hätten wir ein analoges Format gewählt, hätten wir spezifisch für jede Form von Sehbehinderung, Informationsbedarf oder Besuchsform ein eigenes Produkt entwickeln müssen – und damit wieder eine nach „behindert“ und „nicht behindert“ trennende Situation geschaffen. 

  • War es eine Herausforderung, die Ausstellungsexponate, die ja schon zuvor im Museum zu sehen waren, für die App zugänglich zu machen? Wie genau sind Sie dabei vorgegangen?

Anna Riethus: Wir haben uns von Anfang an eng mit unseren Kolleg:innen aus dem Ausstellungsmanagement und der Bildung & Vermittlung ausgetauscht. Da unsere Ausstellung dank ihrer Spiralenform bereits einer stringenten Erzählung folgt, konnten wir relativ einfach Inhalte entlang unseres Ausstellungsrundgangs aufbauen. Bei der Wahl der taktilen Exponate profitierten wir davon, dass in unseren Workshop- und Ausstellungsangeboten schon viel mit Repliken und Tastmaterial gearbeitet wird. Außerdem betreiben wir an unserem Haus Forschung zu 3D-Scanning von steinzeitlichen Artefakten, sodass wir zusätzlich bei der Erstellung und Auswahl von passenden 3D-Drucken unserer Highlights unterstützt wurden.

  • Mussten Sie sich an manchen Stellen von wissenschaftlicher Genauigkeit verabschieden, damit die Story funktioniert? Und umgekehrt: Inwiefern haben Spielmechaniken vielleicht auch Inhalte diktiert?

Anna Riethus: Das Game Neanderthal: Memories ist ein rein auditives Game, was uns beim Verfassen der Spiel-Story einen Vorteil gab: wir mussten beim Erzählen nicht unnötig ins Detail gehen, wenn wir zu bestimmten Elementen keine verlässliche Information hatten. Die Spielmechaniken folgten dann der Erzählung; dank unseren kompetenten Game Designer*innen haben wir dann auch immer eine Lösung gefunden, die inhaltlich gut passte.

  • Sie haben das Projekt in Zusammenarbeit mit Menschen mit Sehbehinderung entwickelt. Wie haben Sie die Zielgruppe konkret in das Projekt miteinbezogen? Wie lief die Kommunikation zwischen Projektgruppe und Behindertenverbänden? Wurden die Sehgeschädigten für ihr Engagement vergütet?

Anna Riethus: Das Projekt ist aus dem Austausch mit unserem lokalen Betroffenenverband, dem Blinden- und Sehbehindertenverband für den Kreis Mettmann e.V. entstanden. Hier hatten wir das unglaubliche Glück, mit Frau Tamara Ströter und Herrn Jörg Moses sehr freundliche, engagierte und kompetente Ansprechpartner:innen zu haben, die uns bei allen Fragen und Krisen beistanden. Dazu wurde das Projekt beim BSVN e.V. angesiedelt, unserem regionalen Betroffenenverband. Während des Projekts haben wir uns zuerst in Kreativ-Workshops, später in regelmäßigen User Testings mit Betroffenen ausgetauscht. Außerdem wurden das Museum und unsere entwickelten Maßnahmen in Form einer begleitenden Doktorarbeit mit blinden, sehbehinderten und sehenden Tester:innen evaluiert. Die Beratung durch den Blinden- und Sehbehindertenverband für den Kreis Mettmann e.V. erfolgte ehrenamtlich, unseren Tester:innen konnten wir Reisekostenersatz bieten.

  • Wie wird die App in Ihrem Haus angenommen? Sind Unterschiede zwischen verschiedenen Gruppen von Besucher:innen bemerkbar?

Anna Riethus: Die App und die dazugehörige Infrastruktur hat sich gut in unsere Dauerausstellung eingefügt. Besonders die Infrastruktur wird auch von unseren sehenden Gästen dankbar angenommen; sei es das Bodenleitsystem, das alle bereits im Eingangsbereich abholt, oder die beliebten neuen Taststationen in der Dauerausstellung. Problematisch sind leider unsere Beacons, die oft zu Fehlern im Game führen. Hier ist es so, dass blinde und sehbehinderte Gäste laut unseren Evaluierungen auch bei Fehlern länger und konzentrierter mit dem digitalen Angebot interagieren, während sehende Gäste oft schon zum nächsten der vielen Angebote in der Ausstellung weiterziehen.

 

Unseren Tagungsbericht über die komplette Veranstaltung können Sie hier nachlesen.