Mini-Game, Holovitrinen, Geisterprojektionen: Innovative digitale Projekte im LWL-Museum für Archäologie Herne – 1/2

07.12.2022 Katharina Hauck

© LWL-Museum für Archäologie I NEEEU Spaces

Jo fährt auf einem Fahrrad durch eine düster wirkende Stadtkulisse und liefert Pakete aus. Doch plötzlich bewegt sich nichts mehr, nur noch Jo selbst. Alles ist eingefroren und ein dichter Nebel umhüllt die Straßen und Häuser. Was in der Stadt geschehen ist und wie Jo aus dieser Situation wieder herauskommt, das müssen die Spieler:innen des Games Jo’s memory herausfinden, in dem Jo – eine nicht-binäre BIPOC-Person – Hauptcharakter ist.

 

„Jo’s memory“ und das Verbundprojekt „Öffne die Blackbox Archäologie“

In dem Mini-Game gibt Fahrradkurier:in Jo mit Rucksack, Helm, Handschuhen und verspiegelter Sonnenbrille auf dem Weg durch die dystopisch erscheinenden Straßen der Stadt ein abenteuerliches Bild ab. Immer wieder stoßen die Spieler:innen beim Steuern der Hauptfigur durch diese Stadtkulisse auf seltsame Gegenstände, deren Rätsel sie lösen müssen, um den sogenannten „Nebel des Vergessens“ zu lichten und die Stadt wieder zum Leben zu erwecken.

„Jo’s memory“ ist das erste von vier Projektergebnissen, das aus dem Verbundprojekt „Öffne die Blackbox Archäologie“, hervorgeht. Beteiligt sind neben dem LWL-Museum für Archäologie in Herne das Bergbaumuseum in Bochum sowie das LWL-Römermuseum in Haltern am See. Noch bis 2023 werden die drei Museen mit ihren innovativen Ideen durch den Fonds digital des Bundes gefördert.

Im Museum in Herne erhofft man sich durch das Projekt neue Erkenntnisse,, um Menschen durch niedrigschwellige, kreative Angebote stärker für die Archäologie zu begeistern. Wie dieser Anspruch bei Jo’s memory umgesetzt wurde, hat uns Hernes Museumsleiterin Dr. Doreen Mölders im Interview erklärt: „Das Mini-Game soll wichtige Eigenschaften transportieren, die für das archäologische Forschen von Bedeutung sind: Recherchesorgfalt, die Genauigkeit beim Betrachten von Gegenständen, das Aufnehmen von Daten gefundener Objekte, das Suchen und Finden und eine gewisse Neugier – das Erkunden. Das sind alles Kompetenzen, die man mitbringen sollte, wenn man sich in die archäologische Praxis begibt.“ Diese Fähigkeiten werden im Spiel – so Mölders weiter – natürlich nur unterschwellig transportiert, da Jo sich nicht aktiv als Archäolog:in betätigt. Ohne die Anwendung der wissenschaftlichen Kompetenzen wird es die Hauptfigur allerdings nicht schaffen, den Nebel des Vergessens zu lichten.

Konkret stoßen die Spieler:innen in der Gaming-Welt auf Anomalien in Form von Kisten, die sie Jo mit bestimmten Werkzeugen untersuchen lassen müssen. Im Gespräch erklärt uns Mölders, wieso sie und ihre Kooperationspartner:innen diese Herangehensweise gewählt haben: „Der ‚Nebel des Vergessens‘ ist eine Metapher dafür, dass wir gegenwärtig zwar immer weiter nach vorn schauen, aber dabei die Vergangenheit aus dem Blick verlieren und uns das manchmal daran hindert, zu erkennen, woher wir kommen, wer wir eigentlich sind und was wir eigentlich manchmal wollen.“ Die gefundenen Gegenstände sind somit Allegorien des Vergessenen. Sie stehen für Erinnerungen, die dem kollektiven Gedächtnis wieder zugeführt werden sollen, um neue Perspektiven zu eröffnen und Wertvorstellungen zu festigen.

Eine Besonderheit bei der Entwicklung des digitalen Serious Games war die Beteiligung eines Bürger:innenbeirats. Um diesen zu formen, wurde ein Aufruf, u.a. über die Social Media Kanäle der Projektpartner:innen geteilt, auf den sich interessierte Bürger:innen aus ganz Deutschland bewerben konnten. Durch die Teilhabe der Bürger:innen flossen  vielfältige Perspektiven und Impulse von außen in die Projektarbeit ein. Insbesondere die Gruppe der sogenannten Digital Natives stellte dabei eine große Bereicherung für das Verbundprojekt dar, wie Mölders erklärt: „Diejenigen, die jetzt so zwischen 18 und Anfang 30 sind haben viel weniger Scheu sich bestimmten Dingen zu nähern und machen das ganz selbstverständlich. Das ist eine Kompetenz, von der wir ziemlich profitiert haben. Gerade in den Blackbox-Meets1, die wir etabliert haben, in denen es einen freien Austausch gibt, in denen haben wir Hinweise vom Beirat bekommen, was wir uns als Inspiration angucken können und wie man Lösungen für bestimmte Probleme finden kann, auf die wir selbst nicht gekommen sind. Wir sind ja, wenn es um digitale Medien geht, immer auf Zusammenarbeit angewiesen, weil wir die Expertise selbst nicht im Haus haben. Und diese Sichtweise von der Nutzer:innengruppe war für uns sehr wertvoll.“

Die positive Erfahrung mit gesellschaftlicher Teilhabe an Kulturprojekten legt die Frage nahe, ob die Beteiligung von Bürger:innen-Beiräten in Kulturinstitutionen weiter normalisiert und etabliert werden kann und sollte. Mölders erkennt eine immer größere Bedeutung der Partizipation von Bürger:innen im Kulturbereich: „In naher Zukunft wird es darauf hinauslaufen, dass man sich öffentlicher aufstellen muss und mehr in Teilhabe gehen sollte. Das eignet sich nicht für jedes Projekt, aber die Gesellschaft fordert das zum Teil inzwischen ein. Die Menschen wünschen sich mehr Teilhabe und wollen Gehör finden, dadurch steigt dann natürlich auch die Akzeptanz unseres Programms.“ Gleichzeitig setze eine derartiger Einbezug der Bürger:innen in Entscheidungsprozesse auch immer die dafür notwendigen Ressourcen voraus, denn alleine die Menschen anzusprechen und zur Partizipation aufzurufen stelle schon einen großer Aufwand dar, den sich nicht jedes Museum leisten könne; dazu kämen finanzielle und zeitliche Faktoren.

Neben dem Mini-Game Jo‘s memory als Gemeinschaftsprojekt aller Beteiligten konzipiert jedes teilnehmende Museum eine eigene Anwendung. Im LWL-Museum für Archäologie in Herne ist dies ein digitaler Rundgang, der von mehreren Personen gleichzeitig erlebt werden kann und im Laufe des nächsten Jahres fertiggestellt werden soll.

 

Ausblick

Zum Ende unseres Gesprächs wirft Museumsleiterin Mölders einen Blick in die Zukunft der Museumsarbeit: „Museen sollten nicht die Neugier verlieren. […] Museen sind die wandelbarsten Institutionen, die es überhaupt gibt. Das habe ich irgendwann einmal in der SZ gelesen und fand es so treffend. Im Vergleich zu anderen Institutionen, die im Grunde schon seit Jahrhunderten so sind, wie sie sind – sehr traditionell wie Theater oder Opernhäuser. Und Museen haben sich in ihrer noch gar nicht so langen Geschichte schon häufiger neu aufgestellt. […] das ist ein großes Pfund, mit dem die Museen arbeiten können, um auch in Zukunft relevant zu bleiben für die Gesellschaft und die Öffentlichkeit. Und (wenn sie es können) neben ihrem Angebot am realen Ort auch im digitalen Raum präsent zu sein, um auffindbar zu bleiben, Barrieren zu überwinden und dort die Welten aufzubauen, die wir im Museum rekonstruieren wollen. Denn dort ist das möglich.“

Fortsetzung folgt! Im zweiten Teil unseres Interviewartikels haben uns Dr. Doreen Mölders uns Dr. Susanne Jülich erzählt, was es mit den holografischen Vitrinen und den Geistern der Vergangenheit im LWL-Museum für Archäologie auf sich hat.

 

1 Die Blackbox-Meets sind digitale, regelmäßige Treffen der Projektbeteiligten.